Generation A
eines schweizerischen Pharmamanagers, dessen Frau seit zehn Jahren tot war. Er selbst wohnte nie darin. Warum war nun unser Wissenschaftler in diesem Schlafzimmer? Weil er, wie es so vielen Menschen geht, eine Bruchlandung gemacht hatte. Das beschäftigte ihn, als er aus dem Fenster schaute und auf Dächer sah, die Alpen, einige kalte, glitzernde Lichter im Süden auf der italienischen Seite und die Silhouetten von Blattwedeln der Washingtonia-Palme, unbeweglich in der windstillen Nacht.
Nein, der Wissenschaftler war nicht zusammen mit dem Pharmamanager in dem Schlafzimmer. Der Manager war an diesem Abend in Katar, um ein halbes Lagerhaus voll No-Name-Wellbutrin an arabische Bauunternehmer zu verkaufen, die es für ihre heimwehkranken Arbeiter vom indischen Subkontinent haben wollten. Diese katarischen Bauunternehmer wussten nicht, dass die Antidepressiva abgelaufen waren und auf der Müllkippe gelandet wären, hätte der junge französische Wissenschaftler nicht bei einem Meet-and-greet Termin im Labor halb im Scherz vorgeschlagen, dass heimwehkranke indische Gastarbeiter potentielle Abnehmer für dieses Mittel wären.
Sein Lohn für die brillante Idee waren die Schlüssel zu dieser schönen, aber stillen schweizerischen Wohnung gewesen und eine Woche Extraurlaub, in der er tun und lassen konnte, was er wollte. Was den Manager betraf, so zog er sich an seinem fünften Tag in Katar eine nekrotisierende Fasziitis zu und kehrte in einem schwarzgrauen Leichensack in die Schweiz zurück.
Unser junger französischer Wissenschaftler lebte allerdings nicht in Locarno. Er wohnte und forschte in Montpellier in Frankreich, einer Universitätsstadt und zugleich der Hauptstadt der Provinz Languedoc-Roussillon, die ans Mittelmeer grenzt. Sein Fachgebiet waren menschliche Eiweißstoffe, vor allem Neuroproteine, die als Marker im Gehirn Beginn und Ende eines spezifischen Gedankens anzeigen - sie fungieren als Wegweiser, Straßenlaternen, Autobahnschilder und Brücken für sämtliche Denkprozesse bei Menschen und Tieren. Man begann gerade erst die Rolle dieser Proteine für alle Aspekte des Denkens und Daseins zu begreifen.
Dem Wissenschaftler ging vieles durch den Kopf, und nur ein Teil davon waren Schuldgefühle wegen der moralischen wie wirtschaftlichen Riesensauerei, die der von ihm angestoßene katarische Antidepressiva-Deal darstellte. Andere Teile von ihm hatten andere Sorgen. Zum Beispiel hegte er die Befürchtung, dass seine Freundin ihn betrog. Sie arbeitete in dem Labor zwei Stockwerke unter seinem, und ihre Mittagspausen verbrachte sie damit, Tatar zu essen (wegen der tierischen Proteine) und propalästinensische Flugblätter zu lesen, während sie einen isometrischen Oberschenkeltrainer benutzte, was ihr im Bett beinahe den Status einer Göttin verlieh. Suzanne war launisch und jung genug, um keinen Gedanken an jenen Tag zu verschwenden, an dem sie sich ihre Bettgenossen nicht mehr nach Belieben würde aussuchen können. Wegen seiner beinahe lähmenden Eifersucht fiel es unserem jungen Wissenschaftler schwer, sich auf seine konkrete Aufgabe im Labor zu konzentrieren, nämlich folgende: Er schoss Laserimpulse durch eine mikrozerstäubte Proteinbrühe. So konnte er spezielle Eiweißstoffe darin isolieren und aussondern. Es war eine Aufgabe, die viel Erfahrung und jahrzehntelange Ausbildung erforderte, aber ungefähr so unterhaltsam war, wie im Body Shop Kartons zu stapeln. Der Wissenschaftler fragte sich, ob er seine ganze Jugend darauf verschwendet hatte, etwas zu erreichen, was im Grunde ein Ultra-Hightech-Mcjob war. Und, um auf das zuvor Erwähnte zurückzukommen, er befürchtete, dass seine Freundin ihn betrog, einfach weil sie es konnte, und weil ihre Friss-oder-stirb Einstellung die Neuroproteine seines eigenen Gehirns in permanentem Alarmzustand hielten.
...
»Augenblick mal«, sagte Zack. »Du redest von dir selbst, oder?“
»Es ist eine Geschichte«, sagte ich.
»Kannst du wenigstens mal die Bezeichnung ›junger Wissenschaftler weglassen? Das macht mich wahnsinnig.“
»Welchen Namen schlägst du vor?“
»Trevor.«
»Trevor? Wieso Trevor?«
»Weiß ich auch nicht. Ist ein guter Name. Unheimlich wissenschaftlermäßig. Wenn ein Trevor was Intelligentes erfindet, denkt man sich: ›Mann, das ist ein Trevor, wie er im Buch steht, hochintelligent, erfindet Sachen und so.‹«
»Na gut, dann eben Trevor.«
»Danke.«
DER SPIELER (FORTSETZUNG)
von Serge Duclos
Trevors Boss war ein
Weitere Kostenlose Bücher