Generation A
ihn an.
Zum ersten Mal im Leben kam ich mir vor wie in einer Szene aus einem brutalen Independentfilm. Wir hatten den fiesen Schurken geschnappt. Sollten wir ihm ein Ohr abschneiden? Oder eine Autobatterie und ein paar Kabel holen und die Nippel ein bisschen strapazieren?
Serge wachte auf und begriff, dass er sich schwer verrechnet hatte. »Ich bin also euer Gefangener?“
»So ist es.«
»Das war wirklich genial«, sagte Sam, »zur Haustür zu rennen.«
»Macht mich lieber wieder los. Ihr glaubt, ihr kennt die Wahrheit, aber das tut ihr nicht.«
»Meinst du die Wahrheit, die draußen vor der Haustür liegt? Von wo du sie für uns holen wolltest?«, fragte ich.
»Ihr traut mir nicht mehr. Das kann ich verstehen.«
Diana klatschte ihm ein Stück Isolierband auf den Mund. »Egal, was er uns erzählt, es wird glattzüngig und verlogen sein. So viel wissen wir. Also denke ich, wir sollten uns kurz bereden, bevor wir uns auch nur ein weiteres Wort von seinem Blödsinn anhören.«
Doch Harj hatte eine Frage und zog den Klebestreifen wieder ab.
»Könntest du mir bitte verraten, wie du mich vor ein paar Tagen in Kentucky gefunden hast, Serge? Ich hab keine Chips in mir. Wie hast du das angestellt?«
»Tatsächlich hast du einen Chip in dir. Jeder von euch, um genau zu sein.«
Es war, als würden uns Spinnen unter der Haut herumkrabbeln.
Ich muss schon sagen, kaum etwas im Leben ist unheimlicher, als zu erfahren, dass irgendwas in deinem Körper steckt. Und im Vergleich mit Chips sind Bandwürmer gar nichts.
»Mein Handy hat einen Chipdetektor«, sagte Diana. »Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn mal benutzen würde.« Sie scannte Harj; er hatte einen Chip im Bein, hinten in der Kniekehle. »Okay, der dürfte nicht allzu schwer zu entfernen sein.«
Harj fragte, warum wir ihn überhaupt entfernen sollten.
»Weil du nicht frei sein kannst, bevor du das tust.«
»Ah«, machte Harj. »Freiheit, dieses unerreichbare Ziel der Craigs.«
Diana fuhr ihn an: »Willst du ihn nun raushaben oder nicht?“
»Okay. Ja. Ich will.«
Diana sagte: »Gut. Ich werde uns jetzt alle scannen.“
Es stellte sich heraus, dass jeder von uns einen Chip in der Kniekehle trug.
»Okay«, sagte Diana, »die nächste Stunde wird nicht besonders lustig, aber ich weiß, dass Serge eine Flasche Oxy in seiner Ausrüstung hat, und in der Küche gibt's ein spitzenmäßiges Bowiemesser.« Sie richtete ihren Chip-Entfernungs-OP in der Wanne im unteren Badezimmer ein. Von dem Oxy fühlten wir uns wie Geburtstagsluftballons am blauen Sommerhimmel, aber es betäubte nicht vollständig, und wir spürten den Schmerz, als das Bowiemesser eindrang und nach dem Schatz stocherte. Interessanterweise konnte ich beobachten, dass Schmerz gar nicht so schlimm ist, wenn alle anderen um dich herum ihn auch erleben. Auf jeden Fall arbeitete Diana sauber und schnell. Ihren eigenen Chip operierte sie zuletzt raus, und ich war beeindruckt, wie unblutig dieses potentielle Blutbad verlaufen war. Nachdem wir alle verarztet waren, gingen wir, frisch genäht und humpelnd, zurück ins Wohnzimmer.
Julien fragte: »Und was machen wir jetzt mit Serge? Sollen wir ihn foltern?«
Ich sagte: »Ach, weißt du, ich glaube, foltern liegt uns nicht.“
Sam entfernte das Klebeband. »Okay, Serge, pack aus. Wir sind ganz Ohr.«
»Vielleicht könnte ich euch selbst ein paar Geschichten erzählen.«
»Du? Geschichten erzählen? Warum?“
»Es ist euer gutes Recht, besorgt zu sein.«
»Besorgt? Wir wollen deinen Arsch auf dem elektrischen Stuhl braten sehen.«
»Dann lasst mich Geschichten erzählen - so wie ihr fünf euch Geschichten erzählt habt.“
»Warum sollten wir?«
»Weil der Abend noch jung ist. Weil ihr letzten Endes ja doch tun werdet, was auch immer ihr tun wollt. Weil ihr, wenn ihr meine Geschichten zu euren addiert, die ganze Geschichte habt.«
»Die ganze Geschichte?«
SERGE
»Die ganze Geschichte. Also macht es euch bequem und hört einfach zu.«
Sam sagte: »Okay. Fang an.«
Also fing ich an.
DER SPIELER
von Serge Duclos
Es war einmal ein junger französischer Wissenschaftler, der sich in einer kalten Nacht im dunklen Schlafzimmer einer Wohnung in Locarno in der Schweiz wiederfand, einer Wohnung, die auf den zugefrorenen Lago Maggiore blickte, ein schöner, kleiner, langweiliger Ort, da, wo Italien und die Schweiz sich küssen. Das Domizil gehörte nicht dem Wissenschaftler; es war eine Firmenwohnung für VIPGäste und befand sich im Besitz
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