Generation Wodka
öffentlichen Plätzen Alkohol getrunken, in Parks, auf Spielplätzen, ja eigentlich überall. Wir sehen Alkoholwerbung im Fernsehen, im Kino, in den Zeitungen, auf Plakaten und sonstigen Werbeflächen.
Unsere Kinder kommen also täglich mit dem Thema Alkohol in Kontakt. Wir verführen sie damit und lassen sie dann damit allein. Wir fixen unsere Kinder letztendlich an und wundern uns, wenn sie süchtig werden.
Stellen wir uns einmal folgendes Szenario vor: In unserer Vitrine an einem sehr prominenten Platz in der Wohnung liegen alle möglichen harten Drogen, den Kindern frei zur Verfügung, allerdings nur zum Anschauen. Bei dieser Vorstellung wird wohl fast jeder Leser entsetzt aufschreien. Aber durch Alkohol sterben unzählige Menschen mehr als durch harte Drogen. Das ist eine Tatsache, vor der wir nicht länger die Augen verschlieÃen dürfen.
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âKomasaufen darf sich nicht ausweiten!â
Samuel Kuttler kennt die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen aus prekären Verhältnissen. Seit 2008 arbeitet er als Sozialpädagoge im Kinder- und Jugendwerk âArcheâ. Zum Zeitpunkt des nachfolgenden Interviews war er Leiter des Bereichs Offene Jugendarbeit in der Arche in Berlin-Hellersdorf. Kuttler, Jahrgang 1979, hat Theologie und Soziale Arbeit/Sozialpädagogik studiert. In einer bestimmten Gesellschaftsschicht ist das Komasaufen für Minderjährige ein Alltagsphänomen, so seine Beobachtung.
Was sind das für Jugendliche, die in die Arche kommen?
Unsere Einrichtung besuchen Jugendliche, die im Umfeld der Arche, also in Berlin-Hellersdorf und Berlin-Marzahn, zu Hause sind. Aufgrund der Sozialstruktur, insbesondere der unmittelbar umliegenden Wohnquartiere, sind das fast ausschlieÃlich Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten, die Sozialleistungen beziehen. Die Jugendlichen sind so gut wie ausnahmslos deutscher Herkunft, da in unserem Umfeld kaum Familien mit Migrationshintergrund wohnen. Die jungen Leute kommen in die Arche, um hier nachmittags nach der Schule ihre Freizeit zu verbringen, Freunde zu treffen und an sportlichen oder kreativen Angeboten im Rahmen unserer Offenen Jugendarbeit teilzunehmen. Vielen von ihnen liegt auch viel daran, mit pädagogischen Mitarbeitern über aktuelle Alltagsprobleme (zum Beispiel familiäre Konflikte) reden zu können, Hilfe bei den Hausaufgaben zu erhalten oder aber gegen Ende der Schulzeit Beratung und Unterstützung für den Ãbergang ins Berufsleben in Anspruch zu nehmen.
Wie alt sind die Mädchen und Jungen?
Jugendliche, mit denen wir im Jugendbereich der Arche arbeiten, sind in aller Regel zwischen 13 und 18 Jahren. Ausnahmen sind einzelne 11- bis 12-Jährige als Teil älterer Cliquen, die unsere Einrichtung besuchen. AuÃerdem auch manche, die bereits volljährig sind, sich langsam aus unserer Jugendarbeit herauslösen und selbstständig werden.
Was für Probleme haben diese Jugendlichen in erster Linie?
Fast alle unserer Jugendlichen stammen aus sozial benachteiligten Lebenszusammenhängen. Sie wachsen in Familien auf, in denen sich vielfältige Probleme gegenseitig bedingen und überlagern: das sind Erwerbslosigkeit, instabile Familiensettings, oft psychische Erkrankungen, konfliktbeladenes Zusammenleben, häusliche Gewalt und nicht zuletzt Suchtprobleme.
Auf den Punkt gebracht bedeutet das: Viele unserer Jugendlichen haben von Haus aus deutlich erschwerte Startbedingungen für eine gesunde psychosoziale Entwicklung. Sie geraten in der Schule früh ins Hintertreffen, haben schlechte Noten, hohe Fehlstundenzahlen bis hin zur Schulabstinenz, und entwickeln sehr oft Auffälligkeiten auf psychischer und Verhaltensebene, wie emotionale Labilität, mangelnde Selbstkontrolle, Aggressionsstau. Nicht wenige machen schon früh Bekanntschaft mit der Polizei. Die Ursachen sind unterschiedlich: Sachbeschädigung, Diebstahl, Körperverletzung.
Das gröÃte Grundproblem unserer Jugendlichen erscheint mir die erwartungslose, passive bzw. pessimistische Grundeinstellung hinsichtlich ihrer persönlichen Entwicklungs- und Zukunftsmöglichkeiten. Gerade in dieser Hinsicht färbt die Mentalität ihres unmittelbaren Lebensumfeldes doch sehr stark auf sie ab. Bewusst oder unbewusst stellen sich viele nicht selten Fragen wie: âMeine Eltern stecken schon ewig in der Warteschleife und kriegen keinen anständigen Job â warum sollte es mir besser
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