Genesis Secret
gruben, gruben und legten Göbekli nach und nach frei. Für die Jesiden ist es schrecklich. Es ist, als würde man eine schreckliche Wunde offen legen. Es schmerzt uns. Was unsere Vorfahren vergraben haben, muss vergraben bleiben; was dem Tageslicht ausgesetzt wird, muss verborgen und geschützt werden. Deshalb ließen wir, die Jesiden, uns von ihm anstellen; wir wurden seine Arbeiter, um die Ausgrabung zu verzögern, um dem beharrlichen Graben ein Ende zu bereiten. Aber er machte trotzdem weiter. Legte die Wunde weiter frei…«
»Deshalb haben Sie Franz Breitner umgebracht und …«
»Nein!«, fauchte Karwan. »Wir sind keine Teufel. Wir sind keine Mörder. Wir haben versucht, ihm Angst einzujagen. Wir wollten ihn verscheuchen, Sie alle wollten wir vertreiben. Er muss unglücklich gestürzt sein. Mehr nicht.«
»Und … die Pulsa diNura?«
»Ja. Ja, natürlich. Und die Zwischenfälle auf der Stätte. Wir haben versucht, die Grabung … wie sagt man … zu sabotieren, damit sie eingestellt wird. Aber der Deutsche ließ sich durch nichts von seinem Vorhaben abbringen. Er hat den Garten Eden, den Garten der Krüge, weiter freigelegt. Sogar nachts hat er gegraben. Darüber kam es zum Streit. Und dann ist er unglücklich gestürzt. Ich bin sicher, dass es ein Unfall war.«
Rob wollte protestieren. Karwan zuckte mit den Achseln. »Das können Sie glauben oder nicht. Ganz wie Sie wollen. Ich habe diese ständigen Lügen satt.«
»Und was hat es mit dem Schädel auf sich?«
Karwan atmete ruhig aus. »Das weiß ich nicht. Als ich nach Texas ging, studierte ich dort meine eigene Religion. Ich lernte, den … Kern ihrer Mythen aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wer Melek Taus ist, und ich weiß auch nicht, was das für ein Schädel ist. Alles, was ich weiß, ist, dass wir den Schädel und den Pfau anbeten müssen. Und dass wir diese Geheimnisse nie verraten dürfen. Und dass wir mit Nicht-Jesiden auf keinen Fall Kinder zeugen dürfen. Wir dürfen niemanden heiraten, der nicht unserem Glauben anhängt. Denn sie - die Nicht-)esiden - sind unrein.«
»Ist er von einem Tier? Der Schädel?«
»Ich weiß es nicht! Glauben Sie mir. Ich vermute …« Karwan suchte nach den passenden Worten. »Ich vermute, in Göbekli Tepe ist etwas passiert. Mit unserem Tempel in Eden. Etwas Schreckliches. Vor zehntausend Jahren. Warum hätten wir ihn sonst zugeschüttet? Warum diesen großartigen Ort vergraben, wenn er nicht ein Ort der Schande oder des Leids war? Es muss einen Grund gegeben haben, ihn zu vergraben.«
»Warum erzählen Sie mir das? Warum jetzt? Warum mir?«
»Weil Sie nicht lockergelassen haben. Weil Sie keine Ruhe gegeben haben. Deshalb erzähle ich Ihnen jetzt alles. Sie haben die Krüge entdeckt. Mit diesen schrecklichen Überresten. Wozu haben unsere Vorfahren das gemacht? Warum wurden diese Babys in diesen Krügen eingeschlossen? Das macht mir Angst. Es gibt zu viel, was ich nicht weiß. Alles, was wir haben, sind Mythen und Überlieferungen. Wir haben kein Buch, das uns alles erklärt. Jedenfalls nicht mehr.«
Draußen waren wieder Stimmen zu hören. Menschen, die sich voneinander verabschiedeten. In die Stimmen mischte sich das Geräusch anspringender Automotoren. Anscheinend fuhren die Leute aus Laiisch ab. Rob wollte Karwans Worte aufschreiben - er verspürte einen physischen Hunger, alles festzuhalten; doch die Schnüre gruben sich immer noch tief in seine Handgelenke. Alles, was er tun konnte, war, zu fragen: »Und welche Rolle spielt das Schwarze Buch bei alldem?«
Karwan schüttelte den Kopf. »Ach ja. Das Schwarze Buch. Was ist es überhaupt? Ich bin gar nicht so sicher, ob es wirklich ein Buch ist. Ich glaube eher, es ist eine Art Beweis, ein Schlüssel, etwas, das das große Geheimnis erklärt. Aber es ist verschwunden. Es wurde uns weggenommen. Und jetzt haben wir nur noch … unsere Märchen. Und unseren Pfauenengel. Doch genug jetzt. Ich habe Ihnen Dinge gesagt, die ich keinem Menschen erzählen sollte. Aber ich hatte keine Wahl. Die Welt verachtet die Jesiden. Wir werden angefeindet und verfolgt. Als Teufelsanbeter bezeichnet. Wie könnte es noch schlimmer werden? Vielleicht denkt die Welt nicht mehr so schlecht von uns, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.« Er nahm einen weiteren Schluck Mineralwasser. »Wir sind Hüter eines Geheimnisses, Mr Luttrell, eines schrecklichen Geheimnisses, das wir nicht verstehen. Doch wir müssen Schweigen bewahren und
Weitere Kostenlose Bücher