Genesis Secret
»Cloncurry redet ununterbrochen. Möglicherweise ist er auf Drogen.«
»Und wenn er plötzlich durchdreht?«
Im Auto machte sich lastende Stille breit. Die Sirene war jetzt ausgeschaltet. Niemand sprach. Dann sagte Dooley: »Aus irgendeinem Grund will er unbedingt etwas von Ihnen haben. Er will dieses Schwarze Buch, was immer das ist. Er redet von nichts anderem. So, wie sich die Sache für uns darstellt, ist er fest davon überzeugt, dass Sie es haben. Solange er das glaubt, wird er Ihrer Tochter nichts zuleide tun.«
Dieser Logik konnte Rob nicht folgen. Er konnte gar nichts mehr folgen.
Sie fuhren vom Motorway, ließen die letzten Dubliner Vororte hinter sich und rasten über Landstraßen auf grünes, dicht bewaldetes Hügelland zu. Weißgekalkte Gehöfte sprenkelten die Felder. Auf einem Schild stand Wicklow Mountains 5 km. Es regnete immer noch.
Dooley fügte ruhig hinzu: »Sobald irgendetwas darauf hindeutet, dass er Ihrer Tochter etwas antun will, gehen wir natürlich sofort rein, egal wie groß das Risiko ist. Wir haben überall bewaffnete Gardai postiert. Ehrenwort.«
Rob schloss die Augen. Er konnte sich die Szene vorstellen: die Polizei, wie sie das Haus stürmte, das Chaos und das Durcheinander. Und Cloncurry, der mit einem Küchenmesser seiner Tochter still lächelnd die Kehle aufschlitzte oder ihr in die Schläfe schoss, bevor die Polizei durch die Tür platzte. Was sollte ihn aufhalten? Weshalb sollte ein Irrer wie Jamie Cloncurry Robs Tochter am Leben lassen? Aber vielleicht hatte die Polizei recht. Cloncurry musste ganz versessen darauf sein, das Schwarze Buch in seinen Besitz zu bringen: wie Isobel vermutet hatte. Und Cloncurry musste Rob geglaubt haben, als er behauptete, es finden zu können. Andernfalls hätte er Lizzie genauso umgebracht wie Christine.
Das Problem war, dass Rob keine Ahnung hatte, wo sich das Schwarze Buch befand. Und wenn Isobel nicht schnellstens mit brauchbaren Ergebnissen aufwarten konnte, würde das bald offenkundig. Und was dann? Wenn Cloncurry zu der Überzeugung gelangte, dass Rob nur bluffte, was würde dann passieren? Rob brauchte nicht lange zu überlegen. Wenn das passierte, würde Cloncurry das tun, was er schon so viele Male getan hatte: sein Opfer töten. Sich diese grausige und makabre Befriedigung verschaffen und die blutrünstige Stimme in seinem Innern zum Schweigen bringen. Er würde seine Whaley-Dämonen besänftigen - und mit großer Grausamkeit töten.
Rob schaute auf die regendurchweichte grüne Landschaft hinaus. Er sah ein weiteres Schild, halb verborgen von tropfenden Eichenästen. Hellfire Wood, Eigentum der Irish Forestry Commission, Coillte. Sie waren fast da.
Mit der Geschichte des Orts hatte er sich bereits während der Zugfahrt zum Stansted Airport vertraut gemacht - einfach um irgendetwas zu tun. Um sich von seinen grauenhaften Phantasien abzulenken. Auf einem Hügel nicht weit von hier war ein altes Jagdhaus: Montpelier House. Es stand auf einer von einem neolithischen Steinkreis geadelten Hügelkuppe, und es hieß, dass es in Montpelier House spukte, weshalb es sich sowohl bei Okkultisten und Cider saufenden Kids als auch bei Lokalhistorikern großer Beliebtheit erfreute. Das Jagdhaus war einer der beliebtesten Treffpunkte des Irish Hellfire Club gewesen. Sie hatten dort ihren Scultheen getrunken, schwarze Katzen verbrannt und mit dem Teufel Whist gespielt.
Bei vielem von dem, was in dem Haus angeblich passiert war, handelte es sich, soweit Rob das beurteilen konnte, um Legenden und Märchen. Doch die Mordgerüchte waren nicht gänzlich unbegründet. Ein Cottage am Fuß von Montpelier Hill war der Legende zufolge ebenfalls von den Hellfire-Bündlern benutzt worden. Von Buck Egan, Jerusalem Whaley, Jack Saint Leger und den ganzen anderen hochwohlgeborenen Sadisten.
Es hieß Killakee House. Und als Killakee House vor einigen Jahrzehnten renoviert wurde, stieß man auf das Skelett eines Kindes oder Zwerges, das zusammen mit einer kleinen Messingstatue in Gestalt eines Dämons vergraben worden war.
Rob drehte sich herum und schaute aus dem anderen Fenster. Inzwischen konnte er Montpelier House sogar sehen: ein düsterer grauer Bau auf einer Hügelkuppe, noch dunkler und grauer als die Wolken dahinter. Es war ein scheußlicher Tag für Juni. Dem Anlass entsprechend. Rob dachte an seine Tochter, die in dem nahen Cottage vor Kälte zitterte. Er musste sich zusammenreißen. Positiv denken, und sei es nur in einem sehr begrenzten Rahmen.
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