Genesis Secret
verständnisvoll mit den Achseln. »Peut-etre. Er hat nur seine Pflicht getan.«
»Er hat dich zum Weinen gebracht.«
»Wir haben über Franz gesprochen. Ja … das habe ich schon ein paar Tage nicht mehr getan.«
Rob griff nach seiner Jacke und legte sie wieder zurück. Er starrte auf Breitners Notizbuch auf dem Schreibtisch. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nicht, wohin das alles führte oder wie es mit seinem Artikel weiterging; er wusste nur, dass er in die Sache verwickelt war und möglicherweise sogar in Gefahr schwebte. Oder litt er unter Verfolgungswahn? Rob schaute auf das Bild an der Wand. Auf den eigenartigen Turm. Christine folgte seinem Blick.
»Harran.«
»Wo ist das?«
»Gar nicht so weit weg von hier, vielleicht eine Stunde mit dem Auto.« Ihre Augen leuchteten. »Weißt du was, ich habe eine Idee. Hättest du Lust, es dir anzusehen? Um aus Urfa rauszukommen? Ich wäre im Moment jedenfalls lieber irgendwo anders. Egal wo, nur nicht hier.«
Rob nickte eifrig. Je länger er hier in der kurdischen Türkei war, umso stärker wurde die Faszination, die die Wüste auf ihn ausübte. Die harten Kontraste der Wüstenschatten, die Stille in den verlassenen Tälern. Er mochte das alles sehr. Und im Moment war die Leere der Wüste der Alternative - einem Tag dumpfen Herumhängens im heißen und hellhörigen Sanliurfa - unbedingt vorzuziehen. »Ja, lass uns einen Ausflug machen.«
Es war eine lange Fahrt. Die Landschaft südlich von Sanliurfa war noch karger und unwirtlicher als die Wüste um Göbekli. Fahlgelbes Flachland dehnte sich einem grau schimmernden Horizont entgegen; sandige Öden belagerten verfallende kurdische Dörfer. Die Sonne brannte. Rob öffnete das Fenster, so weit es ging, doch der Wind war trotzdem heiß, so als richtete jemand eine Heißluftpistole auf den Landrover.
»Im Sommer kann es hier bis zu fünfzig Grad heiß werden«, sagte Christine und schaltete mit einem kräftigen Knirschen. »Im Schatten.«
»Kann ich mir ohne weiteres vorstellen.«
»So war es hier natürlich nicht immer. Vor zehntausend Jahren hat sich das Klima drastisch geändert. Wie dir Franz gesagt hat…«
Etwa fünfzig Kilometer lang redeten sie über Breitners Notizbuch: die Karte und das Geschreibsel, und natürlich die Zahlen. Aber weder ihr noch ihm kam eine neue Idee. Robs Unbewusstes war anscheinend in Urlaub. Sein Kekule-Plan hatte zu nichts geführt.
Sie hielten an einer Straßensperre der Armee. Die blutrote türkische Flagge hing schlaff unter der Mittagssonne. Einer der Soldaten stand auf, kontrollierte lethargisch Robs Pass, warf durch das Autofenster einen kurzen lüsternen Blick auf Christine und winkte sie weiter, die hitzeflirrende Straße entlang.
Eine halbe Stunde später sah ihn Rob plötzlich, den seltsamen Turm, wie er einsam in den Himmel ragte. Das siebenstöckige Bauwerk aus gebrannten Lehmziegeln sah aus wie ein an der Spitze zerstörter Pfeiler. Es war riesig.
»Was ist das?«
Christine bog von der Hauptstraße ab und fuhr auf den Turm zu. »Er war ursprünglich ein Teil der ältesten islamischen Universität der Welt. Harran. Mindestens tausend Jahre alt. Er verfällt immer mehr.«
»Er sieht aus wie der Turm auf den Tarotkarten. Der Turm, in den der Blitz einschlägt.«
Christine nickte abwesend und schaute aus dem Fenster, als sie parkte. Vor ihnen lagen mehrere bienenstockförmige Lehmhäuser. Drei Jungen spielten mit einem Fußball aus Lumpen. Ziegen meckerten in der Hitze. »Siehst du die Häuser dort?«
»Diese Lehmhütten? Mhm.«
»Sie stehen wahrscheinlich schon seit dem dritten Jahrtausend vor Christus hier. Harran ist ungeheuer alt. Der Legende zufolge soll es Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies hierher verschlagen haben.«
Der Name Harran weckte in Rob eine tiefsitzende Erinnerung an seinen Vater, der ihm immer aus der Bibel vorgelesen hatte. »Steht sogar in der Genesis.«
»Was?«
»Im Buch Genesis«, wiederholte Rob. »Kapitel zwei, Vers vierundfünfzig. Dass Abraham hier gelebt hat. In Harran.«
Christine lächelte. »Was du alles weißt…«
»Mir wäre es lieber, wenn ich mich nicht mehr an diesen ganzen Mist erinnern könnte.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Apropos, woher wollen sie das so genau wissen?«
»Was?«
»Woher wollen sie wissen, dass das hier die Stadt ist, in der Adam und Eva nach dem Sündenfall gelebt haben? Warum nicht in London? Oder Hongkong?«
»Keine Ahnung …« Sie lächelte über
Weitere Kostenlose Bücher