Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
eigenen Werkstatt einverleiben würde. Allerdings war diese Praxis bei vergleichbaren Projekten durchaus üblich. Außerdem waren die tausend Pfund von der Regierung rasch aufgebraucht, so dass Babbage die weiteren Bauteile aus eigener Tasche bezahlte. Als tatkräftiger Unterstützer erwies sich bald der damalige Premierminister, derHerzog von Wellington. Auf dessen Geheiß überwies das Schatzamt zwischen April 1829 und Februar 1830 in drei Tranchen insgesamt 7500 Pfund – eine enorme Summe. Damit stellte sich für Babbage die Frage: Wem gehört die Maschine überhaupt? Er strebte eine Lösung an, in der sie zum Staatseigentum erklärt würde. Geld verdienen wollte er damit keinesfalls, nicht einmal Patentrechte wollte er geltend machen.
Nächste Frage: Wo sollte das Großprojekt entstehen? Nach langem Abwägen entschied man sich dafür, auf seinem eigenen Grundstück an Dorset House angrenzend ein Gebäude zu bauen. Die neue Werkstatt erstreckte sich über zwei Stockwerke mit jeweils 17 Metern Länge. Im Jahre 1832 baute Clement schließlich ein Demonstrationsmodell der Maschine zusammen und brachte es in das Wohnhaus, wo Babbage es seinen Besuchern vorführen konnte.
Es war also alles in bester Ordnung, doch dann gab es Streit mit Clement, der mehr Geld verlangte und sich außerdem einem Umzug in die Werkstatt von Dorset House widersetzte. »Der Widerwille und Ärger über die ganze Geschichte bringen mich fast um«, 15 klagte Babbage einem Angestellten im Schatzamt. Dort war man sich uneins über die weitere Förderung des Projekts. Nichts passierte, seine Enttäuschung nahm täglich zu. Dem Herzog von Somerset schrieb er, England sei das Land, »dessen regierende Kreise am unfähigsten sind, den Wert der technischen beziehungsweise mathematischen Dinge zu begreifen«. 16 Er fühlte sich als einsamer Bewohner eines Landes, das den Wert der Maschine völlig unterschätzte.
1834 eskalierte der Streit mit Joseph Clement. Der verärgerte Ingenieur trennte sich von Babbage und nahm die Spezialwerkzeuge mit. Damit war das damals mit Abstand größte staatlich geförderte private Forschungsprogramm faktisch gestorben, auch wenn die Regierung es erst 1842 offiziell für beendet erklärte. Bis dahin hatte Clement knapp die Hälfte der insgesamt 25000 benötigten Bauteile fertiggestellt. Die meisten wurdenspäter eingeschmolzen. Die Demonstrationsversion der Differenzmaschine übergab Babbage dem Staat, der sie schließlich im Wissenschaftsmuseum in South Kensington ausstellte.
Doch der mittlerweile 43-Jährige wäre nicht Babbage gewesen, hätte er jetzt aufgegeben. Im Oktober 1834 brütete er wieder über den Plänen seiner Differenzmaschine, als ihm eine Idee kam: »Es könnte möglich sein, den Mechanismus einen weiteren Vorgang zu lehren, und zwar den, etwas vorherzusehen.« 17 Damit meinte er nicht die Fähigkeit, die Zukunft vorhersagen zu können, sondern eine Rechnung in der Weise zu erweitern, dass die Ergebnisse von Rechenoperationen bei Beginn späterer Operationen wieder eingespeist werden konnten. Diese bedingte Verzweigung ist bis heute von zentraler Bedeutung in der Informatik. Babbage sprach bildhaft von der Maschine, die sich selbst in den Schwanz beißt.
Die Grundzüge seiner neuen Analytischen Maschine hatte er rasch fertig, doch für die genauere Ausarbeitung und das Durchdenken der Details benötigte er weitere zwei Jahre. In dieser Zeit entwickelte er wesentliche Charakteristika, die wir noch heute in elektronischer Form in Computern vorfinden: Rechenwerk, Speicher und Ausgabegerät. Bei diesem Aufbau hatte sich Babbage an de Pronys Aufgabenteilung bei der Berechnung seines monumentalen Tabellenwerkes erinnert.
Die erstaunlichste Erfindung aber hatte er dem Handwerk abgeschaut, nämlich dem Webstuhl des Joseph Maria Jacquard. Ein Webstuhl bringt in einem Tuch Muster ein, indem er nach einem bestimmten zeitlichen Takt hölzerne Schiffchen bewegt, die verschiedenfarbige Fäden zum Einsatz bringen. Jacquard war es gelungen, die Schiffchen mit Lochkarten zu steuern. Hierfür band er viele Karten zu einer Kette zusammen und ließ diese über ein mechanisches Lesegerät laufen. Das wiederum steuerte den Einsatz der Schiffchen. Es gibt ein seidengewebtes Porträt von Jacquard, für dessen Herstellung 24000 Lochkarten erforderlich waren. Als Babbage 1840 nach Turin reiste, machte er eigens in Lyon Halt, um einen Jacquard’schenWebstuhl in Aktion zu sehen. Dort überreichte man ihm auch eine Kopie des
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