Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
stammende, mit vielen Türmen gekrönte Backsteinbau ist nicht nur ein Gotteshaus, sondern dient auch als militärische Wehranlage. Hier versieht Nikolaus Kopernikus den Dienst des Domherrn, 1528 hat man ihn sogar zum vierten Mal zum Kanzler des Domkapitels gewählt.
Neben seinem geistlichen Amt kennt Kopernikus nur eine Leidenschaft: die Astronomie. An der Nordwestecke der Verteidigungsanlage hat er einen Turm bezogen, in dem er seinen Himmelsstudien nachgeht. Daneben besitzt er ein eigenes kleines Haus außerhalb des Dombezirks, in dem er eine Sternwarte eingerichtet hat. Doch im Grunde ist Kopernikus kein eifriger Beobachter, sondern er studiert die alten Gelehrten, sichtet deren astronomische Messdaten und versucht, aus ihnen den göttlichen Bauplan des Kosmos zu erschließen.
Schon längst ist er davon überzeugt, dass nicht die Erde im Mittelpunkt des Universums steht, sondern die Sonne. Alle Planeten umkreisen sie, auch die Erde. Damit verliert die Erde – und mit ihr auch der Mensch – die herausgehobene Stellung in der Welt und ist nur einer unter fünf anderen Planeten.
In der Mitte der 1530er Jahre arbeitet Kopernikus an einem Buch, in dem er seine Kosmologie zusammenfassen und überzeugend darlegen will. Es soll sein Lebenswerk krönen: ›De revolutionibus orbium coelestium, Über den Umschwung der Himmelskreise‹. Vermutlich hat er bereits Ende 1529 seine Skizzen, Entwürfe und Tabellen zusammengestellt und zwei Jahre später die erste Version beendet, doch immer wieder kommen ihm Zweifel. Er ändert Überschriften und Kapitelanfänge, korrigiert Zahlen und Tabellen. In dieser Phase ändert er auch den Aufbau des Werkes und fasst die anfänglichen acht Kapitel zu sechs zusammen. Dabei streicht er eine denkwürdige Stelle aus dem Manuskript: »Glaubhaft ist, dass … Philolaos die Bewegbarkeit der Erde angesetzt habe, und in diesem Punkt sei Aristarch von Samos gleicher Auffassung gewesen, so berichten einige.« 1
Zwar hat Philolaos, ein Zeitgenosse des Sokrates, von einer bewegten Erde gesprochen. Allerdings beruhte diese Behauptung nicht auf astronomischen Beobachtungen, sondern entsprang einem rein philosophischen Dogma.
Ganz anders Aristarch von Samos. Das einzige von ihm überlieferte Werk ist ein brillantes Zeugnis seiner Genialität und Kühnheit. Seine Arbeit ›Über die Größen und Entfernungen der Sonne und des Mondes‹ ist der erste bekannte Versuch, den Himmel zu vermessen. Schon das allein muss als ein Bruch mit der damals alles beherrschenden Aristotelischen Philosophie angesehen werden, hatte Aristarch doch den göttlichen Himmel mit schnöden, irdischen Methoden ausgelotet. Er unterschätzte zwar die Distanzen im Sonnensystem ganz erheblich, aber mit den damaligen Hilfsmitteln war eine genaue Entfernungsmessung auch gar nicht möglich. Es ist erstaunlich, dass er überhaupt zu einem Ergebnis kam. Entscheidend aber war die Erkenntnis: Die Sonne ist viel größer als die Erde.
Möglicherweise führte diese Entdeckung Aristarch zu seiner revolutionären Hypothese, die ihn berühmt machte: Nichtdie Erde steht im Zentrum des Kosmos, sondern die Sonne. Es mag ihm unnatürlich erschienen sein, dass sich ein großer Körper um einen kleinen dreht. Die Erde bewegt sich auf einer Kreisbahn um die Sonne und dreht sich einmal pro Tag um die eigene Achse. Der Mond umkreist die Erde.
Eine Arbeit von Aristarch über dieses heliozentrische Weltsystem ist nicht erhalten geblieben, lediglich Archimedes erwähnt sie in seiner überlieferten Schrift ›Die Sandzahl‹. Plutarch schrieb später, der Philosoph Kleanthes in Athen habe dazu aufgerufen, Aristarch aus diesem Grunde wegen Gottlosigkeit anzuklagen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Prozess wirklich stattgefunden hat, aber die These von der Zentralstellung der Sonne war in der Welt, und sie wurde noch über Jahrhunderte hinweg diskutiert. So geht der wohl berühmteste Astronom der Antike, Claudios Ptolemaios, rund 400 Jahre später darauf ein – und verwirft sie. Der Streit um das heliozentrische Weltsystem kulminierte fast zwei Jahrtausende nach Aristarch und ein halbes Jahrhundert nach Kopernikus’ Tod, als Galileo Galilei öffentlich dafür eintrat.
Als im März 1543 Kopernikus’ ›De revolutionibus‹ erschien, tauchte der Name Aristarch darin nicht auf. Warum der Astronom diesen Hinweis getilgt hat, wissen wir nicht. Und das ist wahrlich nicht das einzige Geheimnis um den Kopernikus der Antike, wie Aristarch auch genannt
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