Genosse Don Camillo
Ich...«
»Basta, Genosse«, schnitt ihm
Don Camillo das Wort ab. »Es ist unrühmlich, dem Ausland das jämmerliche
Schauspiel unserer kleinen persönlichen Angelegenheiten zu bieten. Schau nur,
daß du dir die blau unterstrichenen Stellen ins Gedächtnis prägst. Diese wirst du zitieren. Ich benütze die
rot unterstrichenen Abschnitte .«
Peppone schaute ihn mit
aufgerissenen Augen an.
»Ihr richtet mir wieder
irgendeine Lausbüberei an !« rief er.
»Keine Lausbüberei. Wenn du
nicht als Dummkopf gelten willst, dann lerne die Stellen, die ich dir angegeben
habe, auswendig, und beeile dich, denn du hast nur eine halbe Stunde Zeit .«
»Gut«, antwortete Peppone
barsch, »wir werden später darüber reden .«
Er setzte sich an das
Tischchen, heftete die Augen auf das Blatt und begann, seine Lektion zu lernen.
Es handelte sich bloß um zwei
Stellen mit wenigen Zeilen, aber er hätte auch eine ganze Seite seinem
Gedächtnis eingeprägt, so groß war seine Wut.
»Hören wir«, sagte schließlich
Don Camillo und versorgte seine Papiere wieder im Koffer.
»Genossen«, schrie Peppone,
»Lenin hat gesagt: ›Die Extreme sind bei keiner Gelegenheit gut, aber vor die
Wahl gestellt, ziehen wir klare, wenn auch beschränkte und unerträgliche
Feststellungen der weichlichen und ungreifbaren Verschwommenheit vor‹ .«
»Gut. Dies wirst du sagen, wenn
ich tue, als ob ich mich eines gewissen Satzes Lenins nicht mehr erinnerte. Den
andern Abschnitt aber, wenn ich dich um die Meinung der Partei frage.«
»Welcher Partei? Daß Gott dich
fälle !« gurgelte Peppone.
»Der ruhmreichen
Kommunistischen Partei, Genosse«, antwortete ihm Don Camillo feierlich. »Jener
Partei, wie ganz richtig in Nummer 9 des ›Kommunist‹ geschrieben steht, die von
allen ihren Mitgliedern fordert, daß sie...«
»... daß sie, in ihrer
persönlichen Lebensführung...«, unterbrach ihn heftig Peppone. Und wütend
rezitierte er die Litanei Nummer zwei bis zum letzten Wort, ohne je zu stolpern
und ohne ein Komma zu vergessen.
Don Camillo hörte ihm gesammelt
zu und sagte schließlich:
»Bravo, Genosse! Ich bin stolz,
dein Pfarrer zu sein !«
Das Abendessen war reichhaltig
und lehrreich, weil der Genosse Kommissär mit einer außerordentlichen Menge an
statistischem Material die Ziele darlegte, welche die sowjetische Industrie im
Jahre 1965 erreichen würde. Am Schlusse, nach den vorgeschriebenen
Trinksprüchen auf den Frieden, die Entspannung, den unfehlbaren Endsieg des
Kommunismus und so weiter und so fort, erhob sich Don Camillo.
»Genossen«, sagte er, »die
Zugehörigkeit zur Partei verpflichtet jeden Kommunisten, die bolschewistischen
Grundsätze einzuhalten und die Kritik wie auch die Selbstkritik zu entwickeln .«
Er sprach langsam, indem er die
Worte betonte und dabei stolz den Genossen Oregow fixierte, dem die Genossin
Petrowna Wort für Wort übersetzte.
»Gegenüber dem Gewissen der
Partei muß jeder Kommunist seine Handlungen genau abwägen und nachprüfen, ob er
nicht ein Weiteres oder Besseres tun könnte. Kein Kommunist soll sich fürchten,
die Wahrheit zu sagen: er soll sich offen und aufrichtig aussprechen, auch wenn
es sich darum handelt, unangenehme Werturteile zu fällen. Genossen, Lenin
schrieb...«
Don Camillo tat, als ob er sich
innerlich abplackte, sich der Worte zu erinnern. Da griff Peppone ein:
»Mühe dich nicht ab, Genosse!
Lenin schrieb: ›Die Extreme sind bei keiner Gelegenheit gut, aber vor die Wahl
gestellt, ziehen wir klare, wenn auch beschränkte und unerträgliche Feststellungen
der weichlichen und ungreifbaren Verschwommenheit vor.‹«
»Danke, Genosse !« fuhr Don Camillo fort, indem er die Augen des Kommissärs
wieder auf sich zog. »Nach dieser Feststellung halte ich mich für ermächtigt,
mit aller Klarheit zu reden. Der unerfreuliche Zwischenfall, der sich gestern
mit dem Genossen Rondella ereignete, hat mich bewogen, den Absatz 5
der Parteisatzung nachzulesen,
da, wo es heißt: ›Jeder, der bei der Kommonistischen Partei eingeschrieben ist,
hat bei einem disziplinarischen Verstoß das Recht, von einem regulären
Parteigericht beurteilt zu werden und in jedem Falle an die Versammlung seiner
Organisation und auch an die höhern Instanzen zu appellieren.‹ Jetzt frage ich:
Wenn jemand von uns, die wir vom Senator Genossen Bottazzi geführt sind, sich
eines disziplinarischen Verstoßes schuldig machte, welches reguläre Parteiorgan
könnte ihn beurteilen? Der Genosse Senator stellt
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