Gentlemen, wir leben am Abgrund
Ballsporthalle nur noch nach Pascal Roller schreit, der Frankfurter Legende in ihrem allerletzten Spiel, dämmert es mir, dass Spiel und Serie tatsächlich gewonnen sind. High Fives auf dem Weg in die Kabine, aber hinter der Tür dann müde Gesichter, Eisbeutel und der Geruch von Pferdesalbe. Yassin sitzt auf einem Tisch und baumelt langsam mit den Beinen. Ist das Glück oder völlige Erschöpfung? Mithat kommt mit der Statistik in der Hand in die Kabine. »Beste Serie deines Lebens, oder?«
Nach dem Spiel wird Tanzen gestattet, der Himmel leuchtet dunkelblau. Sven umarmt seine Eltern, weil er jetzt nach Bamberg kommen wird. »Wir sehen uns Sonntag«, sagt sein Vater. Die Spieler gehen durch ein Spalier aus gelbem Jubel zum Bus, Yassin strahlt, Bryce tanzt, Mithat sieht ehrlich froh aus. Wir fahren durch die Frankfurter Dämmerung, der Bus ist innen rot, samtfarben, feierfarben, krönungsfarben. An der Hotelbar trinken wir ein Bier, wir reden nicht viel vor Erleichterung, und bald verabschieden wir uns völlig ausgelaugt vom Barkeeper. Im Treppenhaus des Hotels umarmt mich Marco Baldi plötzlich sehr herzlich und echt, er haut mir auf die Schulter, er sieht älter aus als noch heute Morgen. Leichter auch. »Wahnsinn«, sagt er und schüttelt den Kopf. Er sucht nach fazitären Worten, aber findet keine. Ich stelle irgendeine Frage, von der wir beide wissen, dass die Antwort nicht von Belang wäre. »Wahnsinn«, sagt Baldi. Die Saison ist ein Erfolg. Und jetzt kommt der Showdown.
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ENTSCHEIDUNG AN DER REGNITZ
BAMBERG, 5. JUNI 2011
DREIZEHN TAGE VOR DER ENTSCHEIDUNG ist die Mannschaft müde, aber glücklich. Sie hat zehn Playoff-Spiele in den Knochen, vor drei Tagen erst haben wir gegen Frankfurt gewonnen, vor zwei Tagen sind wir wieder in Berlin gelandet. Wir haben die Trikots gewaschen und die Kinder geküsst, heute treffen wir uns wieder. Der Sommer ist da, die Sonne knallt auf das Dach des Trainingszentrums, sie ballert durch die Fenster, der Staub flirrt in den schrägen Strahlen. Bryce und Sven spielen Eins-gegen-Eins. Der Bus nach Bamberg wartet schon, und weil so wenig Zeit ist, soll die Mannschaft am Morgen noch einmal trainieren, zumindest soll sie es versuchen.
Der Physio hat beide Hände voll zu tun, er bekommt einen Spieler nach dem anderen auf den Tisch. Es fühlt sich an wie ein Sommercamp, nicht wie das letzte Training vor dem ersten Finalspiel um die Deutsche Meisterschaft. Taylor Rochestie trägt Flip-Flops, die Jugos waren beim Friseur. Bryce trägt seine Oregon-Shorts, seine Glücksbringer, Sven eins seiner schwarzen Hemden aus Carife. Sven und Bryce sind schon vor dem Training tropfnass, sie arbeiten sich aneinander ab. Die anderen schauen zu und schreien ihnen ins Spiel, sie oohen und aahen bei jedem Wurf, den Sven heute Morgen nimmt, denn Sven hat die Mannschaft gerade erst ins Finale geworfen. Zum ersten Mal seit Kranjska Gora habe ich den Eindruck, dass diese Mannschaft Deutscher Meister werden wird. Jetzt geht wieder alles von vorne los, jetzt ist alles möglich. Die allgemeine Erleichterung hallt durch das Trainingszentrum, der Mannschaft ist ein Stein vom Herzen gefallen.
Ein paar Stunden später überqueren wir die ehemalige deutsch-deutsche Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Ich habe das Gefühl für Distanz und Zeit verloren. Ich weiß nicht mehr, ob wir immer noch oder schon wieder Richtung Westen fahren. Die Spieler sitzen wie festgenagelt auf ihren Plätzen – immer noch oder schon wieder. Sven liest die Schlagzeilen der letzten paar Tage, die seine Geschichte erzählen. »Operationen am Gesicht« titelt eine Zeitung, denn Coach Katzurin hat Sven nach dem Frankfurter Sieg als Gesicht der Mannschaft bezeichnet, und dieses Gesicht hat sich in der Frankfurt-Serie verändert. Auf der Pressekonferenz hat Coach Katzurin geklungen wie ein leicht melancholischer Oscargewinner. Er hat Konsti und Bobby als »mehr als nur Assistenten« bezeichnet, er hat sie Partner genannt. Die Frage nach der Identität der Mannschaft ist in dieser Saison zahllose Male gestellt worden, nach jeder Niederlage neu, nach jedem Spielerwechsel, nach dem Austauschen des Trainers. Die letzte Serie hat die Begeisterung und Identifikation der Fans neu befeuert, und die Journalisten scheinen sich von diesem Enthusiasmus anstecken zu lassen.
Schultzes mutiger Auftritt hat für ein paar Tage die Frage nach dem Charakter des Teams beantwortet. Jetzt soll seine Rückkehr nach Bamberg die Geschichte
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