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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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dem Spiel hat er kein Auge zugetan. Der Doc ist nach dem Sieg gegen Frankfurt direkt ins West-Berliner Martin-Luther-Krankenhaus gefahren, weil er für zwei Nachtdienste und zwei Tagschichten eingetragen war. Er hat wenig geschlafen und viel operiert. Danach ist er direkt zum Zug und der Mannschaft hinterher. Als er in Bamberg ankommt, ist McElroy seit zwei Tagen wach. Also setzen sich Doc und Mac in ein Taxi und lassen von einem freundlichen Zahnarzt in Bischberg bei Bamberg mitten in der Nacht Macs Backenzahn aufbohren, um den Druck abzulassen und die Schmerzen zu lindern. Mac und der Doc sehen also müde aus, und Tadija trägt schon seit dem letzten Frankfurtspiel seinen gekränkten Stolz im Gesicht. Er hat fast nicht gespielt, und nach dem Spiel hat er sich geweigert, mit dem Coach in einem Aufzug zu fahren. In den Tagen danach hat sich Coach Katzurin um ihn bemüht, denn das Team braucht ihn, um Šuput auszuschalten.
    In der Sonne vor dem Hotel lagert eine russische Hochzeitsgesellschaft im Garten des Hotels, Sommerhemden und Panamahüte. In der Auffahrt steht der seltsam eckige Fuhrpark eines Lamborghini-Treffens, Camouflage-Boliden und Speedneedles. Die Spieler gehen schweigendan den russischen Gästen und italienischen Autos vorbei, aber Femerling und Sven werden für Fotos aufgehalten. Sie setzen ihr Lächeln für solche Gelegenheiten auf, aber man sieht, dass sie sich nichts lieber wünschen, als jetzt in Ruhe gelassen zu werden.
    Als die Mannschaft das Schlosshotel verlässt, begegnen uns Hesse und Reiter, die beiden Referees, die das erste Spiel leiten werden. Die Spieler ignorieren die beiden, die Manager nicken ihnen höflich zu. Niemand sagt, was er denkt. Man beäugt sich. Reiter ist für seine Kraftlosigkeit in Heimhallen bekannt. Der Lärm scheint ihn weich und nachgiebig zu machen, er gilt als Heimschiedsrichter. Hesse stolziert braungebrannt durch die Hotellobby und bezahlt seine Minibarrechnung mit gewedelter Kreditkarte. Es kann losgehen.
    Bamberg ist bereit, und Bamberger Bereitschaft bedeutet nichts Gutes für den Gegner. Als der Berliner Bus durch die schmalen Gassen fährt, bekommen wir eine Ahnung davon, was uns heute Abend erwartet. Bamberg ist eine malerische mittelalterliche Stadt, aber als Micha und Micha uns langsam durch die putzige Kulisse navigieren, zeigt uns die mittelalterliche Universitätsstadt ihr heutiges Gesicht. An jedem dritten Auto hängen Bamberger Wimpel, die Häuser und Geschäfte tragen das Grau und Rot der Brose Baskets. Ein weißhaariges Rentnerpaar steht auf einer Brücke, er schüttelt seinen Gehstock in Richtung Bus, sie reckt beide Mittelfinger, ein absurder Anblick.
    »Ich habe ein seltsames Gefühl«, sagt Bobby und blickt den schimpfenden Senioren nach. »Drei zu Null für uns.«
    »Ich hatte ein gutes Gefühl«, sagt Mithat. »Aber dann hat Bobby ein Drei zu Null vorausgesagt.«
    Für eine Weile wird der Weg zur Straße von einem Biermobil blockiert, einer Mischung aus Fahrrad und Tresen, mit einem Lenker und zehn pedaltretenden Trinkern. Alle tragen Rot. Ein Bierglas fliegt Richtung Bus, aber verfehlt uns um Längen. »Wenn wir Meister werden«, sagt einer der Busfahrer, »dann fahre ich euch mit so einem Ding durch die Stadt.«
    Als wir die Bamberger Halle betreten, werden wir von den Helfernabschätzig gemustert. Sie sehen an uns vorbei, sie drehen uns den Rücken zu, sie tun so, als wüssten sie nicht, wer wir sind (sie spielen das Spiel vor dem Spiel). Wie beim letzten Mal ist Predrag Šuput auch heute schon längst in der Halle und wirft sich warm, er begrüßt Yassin wie einen alten Bekannten und lächelt dazu sein trickdiebisches Lächeln. Die Fernsehkameras sind da, die Experten und Kameraleute. Das kalte Licht, die große Bühne.
    Die Bamberger Halle ist ein Wirrwarr aus Werbetafeln und Sponsorenbannern, ein grau-schmutzigrotes Durcheinander. Sie macht es einem leicht, sie nicht zu mögen. Sie mag uns auch nicht. Die Trommler räumen ihre Instrumente in die Halle, die Fanclubs hängen ihre Alba-Killer- Plakate auf. Gerade ist Soundcheck, ein Mallorca-Schlager mit Bamberg-Text dröhnt durch die Halle, Freak-City-Schalala. Svens Vater Rudi begrüßt seinen Sohn heute in violettem Hemd.
    »Blau für Berlin und Rot für Bamberg«, sagt er. »Ergibt Lila.«
    »Schultze raus«, sagt ein vielleicht fünfzehnjähriges Mädchen, als sie ihre Trommel an uns vorbeischleppt. Sie lächelt nicht, sie meint es ernst. Das Mädchen sieht aus, als würde sie selten

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