Gentlemen, wir leben am Abgrund
alle spielen, McElroy bekommt sogar eine längere Pause. Staiger kommt unter dem Jubel der Zuschauer aufs Spielfeld und macht, was er kann: Er trifft einen Dreier, legt dann sofort einen Zweier nach. Direkt nach einem Ballverlust sprintet er über das komplette Spielfeld, schlägt Stevi ć den Ball aus der Hand und verhindert einfache Punkte der Oldenburger: Staiger-Sprechchöre. Staiga Staiga!
Unkonzentriertheiten und Ballverluste schleichen sich erst ein, als das Spiel bereits entschieden ist. Die Oldenburger Fans verlassen die Halle kurz vor Ende des Spiels mit hängenden Köpfen und schlaffen Fahnen. Alba gewinnt 95:68.
Nach dem Spiel kommt der Coach kurz in die Kabine und gibt den Spielern den Sonntag frei. »Good job, guys, wir führen nicht 24:0, also reißt euch zusammen. Schont euch, rennt morgen nicht den ganzen Tag im Frühling herum. Wir sehen uns übermorgen.«
»Um zehn Uhr,« sagt Konsti, »ten a. m.«.
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EIN GUTER STOLPERER FÄLLT NICHT
OLDENBURG, 4. MAI 2011
DREI TAGE SPÄTER STEHEN WIR ZUM ZWEITEN SPIEL der Playoff-Serie in der leeren EWE Arena Oldenburg. Die Wirkung einer leeren Auswärtshalle vor einem wichtigen Spiel ist nicht zu unterschätzen. Die Spieler machen ihre Witze ein wenig zu laut. An der Hallendecke hängen die gelb-blauen Trikotbanner der Oldenburger Lokalhelden, #6 Daniel Strauch, #8 Pavel Be ć ka, #14 Tyron McCoy. »Berliner Spieler gelten hier nichts«, sagen die Fahnen. Das Meisterbanner von 2009 erzählt, dass hier gerade erst gefeiert wurde, denn wo Banner hängen, da wurde gewonnen, und wo Ehrentrikots hängen, haben Spieler große Spiele gespielt. Die Halle ist vorbereitet: das Dunkelblau-Hellblau der Sitze, das Gelb der Klatschpappen, das bleiche Weiß der Trommelfelle (es wird laut werden). Playoffs sehen überall ähnlich aus, sie fühlen sich überall ähnlich an. Ein Hausmeister wischt noch einmal den Boden vor der Oldenburger Bank, ein Techniker steht auf einer Leiter und schraubt an der Uhr herum (es wird knapp werden). Die Fernsehleute leuchten die Halle aus, ein blasses Licht, das man von nächtlichen Unfallorten an Autobahnen kennt.
In leeren Hallen ist die Größe des Spiels spürbar. Man stellt sich die Zuschauer vor, wo jetzt leere Sitze sind, den Lärm, wo jetzt vereinzelte Bälle zu hören sind, die Wut, wo jetzt das Echo unserer Witze verhallt. Jeder Basketballer stellt sich vor, wie er in dieser Halle spielen würde. Man stellt sich entscheidende Würfe vor (ein innerer Jubel). Am anderen Ende der Halle wärmt sich Daniel Hain auf, der Verteidigungsspezialistder Oldenburger, Serien von Mitteldistanzwürfen, ein, zwei Dribblings, Dreier. Ricky Paulding sitzt mit Kopfhörern auf der Tribüne, Miro Raduljica und der Oldenburger Serbe Luka Bogdanovi ć scherzen (Gesetz im Profibasketball: Amerikaner hören allein Musik, Ex-Jugoslawen reden miteinander, deutsche Nationalspieler umarmen sich).
Konsti legt sein Taktikbrett auf den Boden und stützt sich auf die Bande. »Es gibt dieses Playoff-Gefühl. Du stehst da und willst eigentlich nur, dass es zweieinhalb Stunden später ist. Du willst einfach nur wissen, wie du dich in zweieinhalb Stunden fühlen wirst.«
Gestern Morgen hat die Mannschaft noch in Berlin trainiert. »Das nächste Spiel ist nie eine einfache Kopie des letzten«, hat der Coach gesagt. »Delete the program, be ready for a new game.« Katzurin hat gute und schlechte Nachrichten für das Team, er beginnt mit den guten. »Wir haben in der ersten Halbzeit keinen einzigen Ballverlust gehabt. Zero. Zero turnovers! Unser Plan geht auf. Eddie Gill hat den Ball nicht verteilt wie sonst. Campbell sollte links gehen und ist links gegangen.Bogdanovi ć hat nicht getroffen. Aber er wird weiter werfen. Wir waren oft schneller als sie, vorne und hinten. Exzellente Teamarbeit. Bryce war mindestens sechs Mal auf dem Boden. So spielt man Playoff-Basketball. This is how you play Playoff-Basketball! Und dann? Dann produzieren wir in der zweiten Halbzeit diese unfassbaren Ballverluste. Unfassbar! Twelve. Er lässt das Video laufen. Twelve! Hier. Hier Taylor. Und nochmal Taylor. Hier.«
Aufbauspieler Taylor Rochestie starrt auf den riesigen Bildschirm in der Kabine, dann auf die frisch gewaschenen Auswärtstrikots auf dem Tisch, dann wieder zum Coach. Wenn der Coach individuelle Fehler zeigt, sieht keiner seine Mitspieler an. »Hier, hier, und hier.« Jeder ist sich der eigenen Vergehen bewusst, aber trotzdem hoffen die Spieler, nicht erwischt,
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