Gentlemen, wir leben am Abgrund
Arena garantieren. Bei Alba hatte man lange nachgedacht, man hatte sechs lange Jahre verhandelt. Es gab in Berlin deutliche und berechtigte Kritik an der Bebauung des Spreeufers, es gab moralische, stadtplanerische und natürlich sportnostalgische Gründe gegen einen Umzug. Aber um in Deutschlandund Europa langfristig sportlichen Erfolg zu haben, war der Umzug für Alba unerlässlich. Man würde jetzt keine Hallenmiete mehr zahlen, sondern an den Profiten der Auslastung teilhaben.
Das durchschnittliche Interesse am europäischen Basketball entsprach einer halb gefüllten O2 World, die Oberränge mit schwarzen Tüchern unsichtbar gemacht. Selbst in Griechenland und Spanien spielten Erstligamannschaften bisweilen vor weniger als 1000 Zuschauern. Wenn die Berliner Halle komplett ausverkauft war, gab es nichts Vergleichbares in Europa. Die O2 World bedeutete für Alba den Versuch, europäischen Basketball auf eine neue Ebene der Publikumswirksamkeit zu befördern. Die O2 World ist riesig, bei Basketballspielen sind es bis zu 14.500 Zuschauer, in ihrer Mitte hängt ein riesiger Videowürfel für Zeitlupen, Nahaufnahmen und Werbung. Es riecht nach Pommes und Popcorn. »Einen schönen Nachmittag und gute Unterhaltung!«, sagen die Türsteher.
Die ersten Zuschauer betreten die Halle, die Cheerleader proben und auf dem Würfel läuft ein Film mit den besten Szenen der Saison. Es ist laut, Soundcheck, ich sehe mich um. Der obere Rang der Halle ist teilweise schwarz abgehängt, auf den blauen Sitzen des Unterrangs liegen leuchtend gelbe Klatschpappen mit dem Playoff-Motto Das Beste zum Schluss (im letzten Jahr hatte man dasselbe Motto verwendet, aber nach dem frühen Ausscheiden hat es sich wohl noch nicht abgenutzt). Heiko Schaffartzik sitzt immer noch auf der Tribüne und liest. Ein paar Organisatoren des Fanclubs schleppen Trommeln und Banner in die Halle. Heute tragen alle Gelb: gelbe T-Shirts, gelbe Trikots, gelbe Schals, gelbe Perlenketten, gelbe Perücken, die gelben Playoff-Brillen. Die Spannung ist greifbar, obwohl das Spiel nicht ausverkauft ist.
Am Spielfeldrand gibt Konsti ein Interview, das kurz vor Spielbeginn auf dem Videowürfel gezeigt werden wird. »Heute brauchen wir die Zuschauer, jeden einzelnen«, höre ich ihn sagen, denn Konsti ist eine Art Zwischenhändler zwischen Mannschaft und Fans. »Die Zeit der Reden ist vorbei, jetzt müssen wir zeigen, woraus wir gemacht sind.« Im Tunnel zu den Kabinen kommen mir Bryce Taylor und Yassin Idbihi entgegen. »You think it’s gonna be rockin’ in here tonight?«, fragt Bryce, und Yassin zuckt mit den Schultern. »Depends on us«, sagt er.
Alles ist vorbereitet, die Zeit läuft. Auch in der Kabine der Coaches läuft ein riesiger Fernseher, Royal Wedding in London, Militärs zu Pferde, Regenschirme und Kutschen, absurde Hüte. Eine Uhr an der Wand zeigt die Stunden, Minuten, Sekunden bis zum Anpfiff, 00:59:44 , die roten Ziffern leuchten. Die Kabine für die Coaches ist die Künstlerkabine, in der auch die Musiker auf ihre Auftritte in der Halle warten, Kylie Minogue und Usher und Jon Bon Jovi. Es gibt schwarze Kunstledersessel und eine Küchenzeile mit Mikrowelle, es gibt ein Bad.
Während sich die Spieler die Knöchel tapen lassen, haben Katzurin und die Coaches nichts zu tun, sie müssen die Zeit bis zum Spiel totschlagen. Also läuft der Fernseher, also streiten sich die Coaches über Großbritanniens Thronfolger. Luka Pavi ć evi ć hat bis kurz vor Spielbeginn seine Rituale gepflegt: Kaffee aus Pappbechern mit Professor Mika, murmelnd seine Notizen durchgehen, seinen Plan, seine Idee vom Spiel, dann fünfzig Liegestütz, duschen, Krawatte binden mit Mika, dann raus in die Halle. Coach Katzurin ist längst bereit, er sitzt mit perfekt gebundener Krawatte am Tisch und sieht ab und zu auf die Uhr. 00:55:32 .Mithat erledigt Papierkram, er füllt die Begleiterliste für das Spiel aus. Konsti checkt die Spieler auf der Meldeliste. Bobby war beim Friseur. Professor Mika kommt mit vier Pappbechern in die Kabine. Das ist sein Ritual, aber seit Pavi ć evi ć weg ist, wird sein Kaffee kalt.
»Charles wird König«, sagt Katzurin.
»Ich sage William«, sagt Bobby. »Wetten?«
»Behalt dein Geld, ich will es nicht.«
»Ich sage William. Auf jeden Fall: William!«
»Die Queen stirbt sowieso nie. Lebt ihre Mutter nicht auch noch?«
»Die wurde 101 Jahre alt, 2002 ist sie gestorben.«
»Bobby! Lass uns um so einen Hut wetten. Den gelben da!«
»Der sieht aus
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