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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Verschwörungstheorien, auf Belgrad und New York. Am 11. September war Luka im polnischen Włocławek aus dem Mannschaftsbus gestiegen, »gleich um die Ecke von Chopins Wohnhaus, und überhaupt, wusstest du, dass Chopin Pole war?«.
    Wenn Luka Pavi ć evi ć sprach, hatte ich ständig das Gefühl, eigentlich mitschreiben zu müssen, um Schritt zu halten und Klarheit zu bewahren. Seine Ideen folgten schnell und immer schneller aufeinander, er stellte Verbindungen her, wo ich keine Verbindungen geahnt hatte. Pavi ć evi ć hatte seine Gedanken gründlich gedacht, er hatte diese Sätze schon oft gebaut, und als guter Beobachter hätte ich sie notieren sollen, aber im sechsten Stock des Bristol Günnewig Bonn öffnete sich eine Tür und eine perfekte Kopie von Roger Moore stand vor uns, im Bademantel und mit Schlafbrille um den Hals, mit leicht verschlafenem rheinischen Akzent.
    »Guten Abend, Sir.«
    »Wäre es möglich, dass Sie etwas weniger energisch flüstern?«
    »Most definitely, Sir! Aber eine Sache muss ich dem Schriftsteller hier noch erklären.«
    »Worum geht es?«

    »The proper game. Und wie man Bonn schlägt. Und den Step Out. «
    »Ginge das freundlicherweise auf dem Zimmer, die Herren?«
    Der Coach zog sich die Schuhe aus und stellte sie säuberlich in die Garderobe. »Zurück zum Thema«, sagte er um 0.21 Uhr in Zimmer 612. »Bonn ist das wichtigste Spiel der Saison. Wir brauchen diesen Sieg.« Der Coach warf seinen Pullover über den Stuhl und klappte seinen portablen DVD – Spieler auf. »Step Out!«
    Ich saß in der pastellfarbenen Sitzgruppe eines ehemaligen Bonner Diplomatenhotels und Luka Pavi ć evi ć erklärte mir seinen Plan. Morgen gegen Bonn würde das Aufbauspiel der Telekom Baskets dadurch zerstört, dass die großen Spieler Femerling, Idbihi und Allen aggressiv den Laufweg der kleinen Bonner abschnitten, eine plötzlich aus dem Nichts auftauchende Hecke. Pavi ć evi ć sprang in die Lücke zwischen Bett und Schreibtisch.
    »Hoppa! Plötzlich geht es nicht mehr weiter. Man darf ihnen dabei keinen Raum lassen, kein Split ist möglich, kein Pass.« Pavi ć evi ć nahm einen Pyjama aus dem Koffer, faltete seine Jeans und zog sich die Socken aus. Auf dem winzigen Bildschirm vor uns sah man Femerling und Yassin Idbihi hin- und herrennen, sie schlossen die Lücken und sprinteten zu ihrem Gegenspieler zurück unter den Korb. »Und zwar hier! Hoppa! Und da! « Luka Pavi ć evi ć stand im Schlafanzug vor mir, kurzärmelig, vorn kariert, hinten uni. Er sah den Spielern ein paar Sekunden lang zu, dann klappte er den Bildschirm ein. Der Coach nickte und klopfte mir zum Abschied auf die Schulter. »Verstanden?«
    Es kam zunächst alles so, wie der Coach es geplant hatte. Das 62:82 gegen Bonn war ein guter Start in die Bundesligasaison. Der Liga-Geschäftsführer Jan Pommer saß im Publikum (»This man over there almost killed an entire generation of German players«, raunte Pavi ć evi ć mir vor dem Spiel zu, und mir war nicht klar, was genau er damit meinte). Der Sportpsychologe neben mir auf der Tribüne machte sich wieder seine Notizen, ein Mann mit College-Wappen auf dem roten Wollpullover und bewusst gewähltem Optimierungsvokabular. Head Coaching Company stand auf seiner Visitenkarte, Free Your Mind!
    Die Mannschaft schien die verpasste Qualifikation vergessen zu wollen oder schon vergessen zu haben, sie spielte solide, verteidigte, erspielte sich hochprozentige Würfe, traf und baute den Vorsprung beharrlich aus. Auf Bonner Angriffe fiel Berlin immer eine Antwort ein. Pavi ć evi ć coachte motivierend und ohne die Beschwerdegesten, die man sonst von ihm sah. Keine empört ausgebreiteten Arme, keine wütend gespreizten Finger. Er beruhigte Marko Marinovi ć und lobte Derrick Allen.
    Tadija Dragi ć evi ć lieferte ein hervorragendes Spiel ab, er war bester Werfer und Rebounder, ein Double Double mit 16 Punkten und zehn Rebounds. Hollis Price und Marinovi ć teilten sich die Spielzeit auf der Point Guard-Position und neutralisierten den zappligen Aufbauspieler Nic Wise, Jenkins und Femerling spielten Pick & Roll. Bryce Taylor wirkte auch gegen sein altes Team etwas unentschlossen. Die Mannschaft habe stark, clever und kontinuierlich gearbeitet, sagte Pavi ć evi ć in der Pressekonferenz nach dem Spiel. »We played a proper game today.«
    Luka wirkte sympathisch und beredt, er gab sich zuversichtlich. »Eines ist sicher«, sagte er und grinste Michael Koch an, und der Trainer der Bonner

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