Gentlemen, wir leben am Abgrund
riesige Unwahrscheinlichkeit auf der Anzeigetafel geleuchtet. Alba hatte sich nicht für die Königsklasse qualifiziert und würde im zweitklassigen Eurocup spielen müssen. Das bedeutete weniger Geld, weniger Zuschauer, weniger Renommee. In der Pressekonferenz hatte Luka Pavi ć evi ć eine Grundsatzrede gehalten: »In einem solchen Spiel erreichst du das nächste Level. Es geht um ein höheres Niveau. Es geht um höhere Kultur. Wir hätten heute noch nicht einmal Superhelden sein müssen. Wir hatten die notwendigen Elemente, aber wir waren nicht bereit. Wir haben die Entscheidung und deshalb den großen Preis verpasst. Es bleibt das Gefühl der Frustration. Wir müssen uns besinnen, uns beruhigen und unseren Blick in die Zukunft richten.«
»Was ist in der zweiten Halbzeit passiert?«
»Haben Sie das Spiel nicht gesehen?«
»Doch, doch. Die zweite Halbzeit.«
»Wissen Sie, es geht immer darum, seine Arbeit richtig zu machen. Heute stand für uns eine Menge auf dem Spiel. Sie können mir glauben, alle wussten, worum es geht. Aber wir haben nicht konsequent gearbeitet, wir haben das Spiel nicht richtig gespielt. We did not play a proper game.«
Nachdem die Fragen der Journalisten verebbt waren und die Kameras ausgeschaltet, hatte Luka Pavi ć evi ć in den Katakomben der Arena gestanden und kurz das blasse Gesicht in den Händen verborgen. »Irgendetwas habe ich falsch gemacht«, hatte er gesagt. Marco Baldi hatte allein mit einem Glas Weizenbier und einer Zigarette auf dem Balkon der Arena gestanden und in die leuchtende Nacht über dem Parkplatz und der Stadt dahinter gestarrt. »Das Schlimmste für die Seele eines Teams«, hatte er gesagt, »ist ein Scheitern kurz vor Schluss.«
Am 10. Oktober war Alba ausgeschieden, am nächsten Tag kehrte der Alltag ein. Trainer und Manager planten für die Saison. Bryce hatte gut trainiert, hier und da war seine unglaubliche Athletik und Sprungkraft aufgeblitzt, aber er warf selten. Zumeist wirkte er eigentümlich ruhig, fast schon lethargisch. Er hatte aus den Gleichgewichtsproblemen keine große Sache gemacht. Pavi ć evi ć und Demirel hatten sich mehr von Bryce erwartet und sich nach Ersatz umgesehen. Die Verlängerungsoptionsollte nicht gezogen werden. Es gab zwei, drei Kandidaten. »Johnson oder Jackson«, sagte Mithat, »vielleicht ein Smith.«
Auch Bryce war mit seiner Rolle im Team und seiner Spielzeit unzufrieden gewesen. Er und sein Agent hatten sich nach einem besseren Ort für Bryce umgesehen, nach einer Mannschaft, in der er sichtbarer wäre. Sichtbarkeit bedeutet Interesse größerer Clubs, bringt mehr Geld, bedeutet größere Bühnen und noch mehr Sichtbarkeit. Bryce fuhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Berlin, er schien die Stadt zu mögen, aber als das Ende des Probevertrages näher kam, hatte er sich entschieden, Berlin zu verlassen. Sein Agent hatte dem Verein diese Entscheidung mitgeteilt, Bryce hatte auf gepackten Taschen gesessen und sich am Telefon vom Coach verabschiedet.
Dann allerdings hatten sich zwei Alternativoptionen zerschlagen. Coach Pavi ć evi ć waren mitten in der Nacht Zweifel gekommen, ob man ohne doppelt besetzte Shooting-Guard-Position in die Bundesligasaison starten könnte. Also hatte er Taylors Agenten angerufen und die Verlängerungsoption gezogen. »Bryce ist ein guter Junge, he is not a crook«, hatte der Coach gesagt, »aber diese Sache ist nicht sauber gelaufen.« Am12. Oktober wurde der Probevertrag verlängert, Bryce Taylor würde bis zum Ende der Saison bleiben. Also hatte er seine Sachen wieder ausgepackt und sich zum Angriff entschlossen.
Professor Mika hatte seine Brille im Giacomo vergessen. Er stieg aus dem Aufzug und der Unterhaltung, »good night, maybe«, und machte dabei eine Handbewegung vor unseren Köpfen, als sei uns schwindelig, als würden Vögel um unsere Köpfe kreisen. Die Aufzugtüren schlossen sich.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte der Coach. Basketball. Basketballphilosophien. Luka Pavi ć evi ć blieb auf dem Gang vor Zimmer 612 stehen, den Schlüssel in der Hand. Basketballschulen. Basketballspieler. Der Coach flüsterte sich in Rage. Trainer. Momente, in denen sich Spiele entscheiden. Karrieren. Lebenswege. Schiedsrichter. Spielkultur. Basketballfunktionäre. Machtstrukturen. Ficken und gefickt werden. Protektion. Kunst. Fiktion. Fakten. Ich versuchte zu folgen und verlor den Faden.
Das Gespräch driftete ab, der Coach kam wieder auf Geheimdienste zu sprechen, auf
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