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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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die Siegessäule zufahren, klappt Coach Katzurin den DVD – Player zu und setzt seine Sonnenbrille auf. Bobby wird wach und erklärt, er habe niemals ein 3:0 vorausgesagt. Niemals.
    »Hast du das Spiel schon gesehen?«, fragt der Coach.
    »Nein.«
    »Du hast geschlafen?« Der Coach klatscht in die Hände, als wolle er den gesamten Bus aufwecken.
    »Ja.«
    »Unglaublich! Im vierten Viertel! Man sieht, wie Yassin den Ball fängt, und unter dem Korb steht Julius komplett frei! Komplett frei!Ich wollte die verdammte DVD aus dem Fenster werfen und das Gerät kaputthauen.«
    »Das hat Yassin mir sofort nach dem Spiel gesagt. Julius war frei.«
    »Nach dem Spiel ist zu spät, Bobby. Nach dem Spiel ist es viel zu spät!«





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INFERNO BIANCONERO

    CASERTA, 30. NOVEMBER 2010
    ALS WIR AM FLUGHAFEN SCHÖNEFELD ANKAMEN, war das Chaos schon da. Eine Gruppe Abschiebungsgegner versperrte die Zufahrt zum Terminal, der Bus stand still. Bewaffnete Polizisten sahen den Demonstranten zu. Es war früher Morgen, der Himmel bedeckt und das Team auf dem Weg nach Neapel.
    »Was wollen die?«, fragte Coach Pavi ć evi ć und packte seine Unterlagen zusammen. »Wogegen sind die?« Pavi ć evi ć hatte einen genauen Plan und der konnte jetzt nicht befolgt werden. Auf der Busfahrt zum Flughafen hatte er das Abendtraining im Palamaggiò von Caserta vorbereitet. Wie immer würde das Team einen Tag vor dem Spiel anreisen. Wie immer würde man gemeinsam die Spielzüge des Gegners studieren, abends trainieren und danach gemeinsam essen. Man würde am Morgen des Spiels noch einmal in die Halle fahren, werfen und zur Erinnerung die eigenen Spielzüge und Variationen durchlaufen, Walkthrough und Shootaround. Mittagessen, Mittagsschlaf, Wecken, Snack. Man würde abends das Spiel spielen und am nächsten Tag zurückreisen. Pavi ć evi ć wollte seine Welt kontrollieren, aber die Zufahrt zum Flughafen war gesperrt.
    Die Mannschaft hatte seit dem 70:70 gegen Charleroi Anfang Oktober nur ein einziges Spiel in der Bundesliga verloren und war mit drei Siegen in den Eurocup gestartet. Nicht alle Siege waren überzeugend gewesen, aber es war noch früh in der Saison und man gab sich optimistisch. »Wir haben Luft nach oben«, sagte Mithat Demirel.
    Coach Pavi ć evi ć allerdings war unzufrieden. Er war Perfektionist an der Grenze zur Besessenheit und manchmal darüber hinaus. Pavi ć evi ć glaubte, dass die hauptsächliche Schwachstelle der Mannschaft auf der Aufbauposition lag. »Wir haben uns geirrt«, sagte er. Hollis Price war nur ein Schatten seiner erfolgreichen Jahre und von Marko Marinovi ć mit seinem aufbrausenden Temperament fühlte sich der Coach sogar sabotiert. »Einer von beiden muss gehen«, hatte Pavi ć evi ć erklärt. »Das ist unsere Schwäche. Aber man kann nicht so einfach eine Änderung herbeiführen. Der Club ist besorgt um die Teamchemie.« Marko und Hollis waren beliebt im Team.
    Trotzdem sichteten der Coach und die Manager den Markt. Demirel war wieder im Gespräch mit Marko PeŠi ć , man sprach wieder über Heiko Schaffartzik, der mit seiner Situation in Ankara unzufrieden war. Man sprach mit dem ehemaligen Göttinger Aufbauspieler Taylor Rochestie, der in Istanbul aussortiert werden sollte. Die Demonstranten protestierten gegen die Abschiebung von politischen Flüchtlingen über den Flughafen Schönefeld, sie demonstrierten für Meinungs- und Migrationsfreiheit. Sie hielten Plakate mit Herzen in die Luft, die in Stacheldraht gewickelt waren, Tauben, Fäuste, Maschinengewehre. Sie trommelten und skandierten. Demirel telefonierte mit Baldi, der Busfahrer hupte, aber die Straße blieb blockiert. Pavi ć evi ć stand auf und befahl, die Türen zu öffnen. Die Mannschaft stieg aus und bahnte sich den Weg durch ein Spalier von Abschiebungsgegnern, Polizisten und Partytouristen.
    EasyJet hatte die Massagebank des Physios verloren, also saßen wir unter Palmen und Autobahnrampen vor dem bestellten Bus und warteten. Eine feuchte Wärme lag über allem, wir waren viel zu dick angezogen. Von den Betonsäulen schälten sich Zirkusplakate, überall tropfte es.
    Auf Auswärtsfahrten schlägt jeder die Zeit mit seinen eigenen Waffen tot. Der Coach schimpfte auf Professor Mika ein, Tommy beschwerte sich über die Fluggesellschaft, Bryce Taylor saß auf seinem Platz im Bus und schlief. Yassin Idbihi las im Spiegel, Femerling telefonierte mit seiner Tochter, und Jenkins starrte unter seinen Kopfhörern ins Leere. »My own portable

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