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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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Caserta war die Mannschaft nach Braunschweig gefahren und an der lösbaren Aufgabe deutlich gescheitert, man hatte mit acht Punkten verloren. Mithat hatte sich um eine Verlegung des Spiels bemüht, aber die Liga hatte abgelehnt.
    Das Spiel war im Fernsehen übertragen worden, und die Verletzlichkeit der Mannschaft war für alle deutlich sichtbar geworden. Sechs Spieler waren erkältet, drei spielten mit Fieber. Man hatte geschwiegen, um keine Schwäche zu zeigen. Das Gepäck hatte immer noch im Laderaum eines Flugzeugs am Flughafen München gelegen, Femerlings Schuhe, Yassins Mundschutz, McElroys Rückenbandagen. Die Medikamente des Arztes. Die Trikots. All das hatte Coach Pavi ć evi ć nicht als Ausrede gelten lassen, aber die Umstände hatten sich nahtlos in sein Weltbild gefügt. Man hätte sich schützen müssen.
    Dann war die Mannschaft nach Hause gekommen, hatte ihren Schnupfen auskuriert und drei Heimspiele gespielt. Der Sieg gegen Caserta hatte die vorzeitige Qualifikation für die nächste Eurocup-Runde bedeutet. Die Presse hatte gejubelt. Bei einem Morgenlauf hatte Konsti das »den üblichen Hoffnungsreflex« genannt. »Aus dem Augenblick heraus will man an eine bessere Zukunft glauben.«
    Bei der traditionellen Weihnachtsfeier in der Kinderkrebsstation des Virchow-Klinikums hatten die Spieler ernsthaft gerührt mit den Kindern Weihnachtslieder gesungen (Yassin Idbihi mit frisch rasierter Glatze). Es sah so aus, als wäre das Team in der Krise zusammengewachsen. Luka Pavi ć evi ć hatte in diesen Tagen selten über Basketball und oft über die Kinder gesprochen.
    Dann folgte die erste knappe Heimniederlage gegen die Artland Dragons, bei der sich ausgerechnet Aufbauspieler Hollis Price eine langwierige Muskelverletzung zuzog. Hollis war endlich fit geworden, jetzt saß er im Fan-Shop der O2 World und signierte Trikots mit seinem Namen, während sich seine Mannschaft aufwärmte.
    Die Spielmacherposition wurde zum ernsthaften Problem. Price war draußen und Alba unterbesetzt. Coach Pavi ć evi ć hatte wochenlang versucht, die Point-Guard-Schwäche zu beheben. Er hatte das Wohl des Teams über das individuelle Wohl des Spielers stellen wollen, aber das Management war nicht aktiv geworden. Pavi ć evi ć erwog immer noch, Marko Marinovi ć zu entlassen, vielleicht sogar, um das Management unter Druck zu setzen und einen besseren Verteidiger zu bekommen. Angesichts der Verletzung von Hollis Price wirkte sein Bemühen jetzt stur und waghalsig. Baldi und Demirel waren nicht amüsiert. Aber nach dem deutlichen Sieg gegen Anwil Włocławek schienen sich die Gemüter zu beruhigen.
    Pavi ć evi ć hatte nach dem Spiel den Kontakt zu den Journalisten gesucht. »My man Theo Breiding!«, hatte er gerufen und bei einem Bier über den 11. September 2001 gesprochen, den er als Spieler im Mannschaftsbus von Włocławek verbracht hatte, über das Geburtshaus von Chopin mitten in der Stadt und über die beachtlichen internationalen Erfolge des nächsten Gegners Bamberg. Breiding schrieb für die Morgenpost, sammelte Gitarren und war Lukas Vertrauensperson unter den Journalisten. Er interessierte sich wirklich für das Spiel. Der Coach war nicht optimistisch gewesen, aber er hatte sich bemüht, seinem Umfeld Zuversicht zu vermitteln. »Wir sind da, wo wir sein wollen«, hatte Coach Pavi ć evi ć der Mannschaft gesagt. »Auch wenn Außenstehende das vielleicht anders sehen.« Damit wollte er sagen, dass die gemachten Fehler größtenteils noch zu korrigieren waren. »Sicher«, sagte der weißhaarige Journalist, aber auch für ihn war die Zerbrechlichkeit der Dinge spürbar gewesen.

    Nach dem Sieg gegen die Italiener brach ein alter Krisenherd neu aus: Pavi ć evi ć und die Deutschen. Lucca Staiger hatte um ein Gespräch mit Marco Baldi gebeten und nach dem Training für alle sichtbar mit dem Kapitän Femerling geredet. Insgeheim rechneten die meisten damit, dass er den Verein verlassen würde. Staiger hatte im Vorjahr dem Collegeteam der Iowa State University mitten in der Saison den Rücken gekehrt, weil er mit seiner Position als reiner Shooter unzufrieden gewesen war. Er war nach Berlin gekommen, um variabler eingesetzt zu werden, aber saß hauptsächlich auf der Bank. Nach den Gesprächen mit den Verantwortlichen war er zum Friseur gegangen und hatte sich symbolisch die langen blonden Haare abgeschnitten. Die BZ hatte das dankbar aufgegriffen (»Der Kurzarbeiter – Albas Lucca Staiger schnitt sich die Haare ab. Aber

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