Gentlemen, wir leben am Abgrund
asshole« beendete. Gedacht war das als Motivation, verstanden wurde es von den Spielern als ritualisierter Running Gag. Wie Professor Mikas Brille. Wie die Sitzordnung im Bus. Man wusste, was kommen würde, und man war froh darüber.
»Bei Luka geht es immer um Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung. So lange, bis die Spieler irgendwas kapiert haben, bis irgendwas hängen bleibt.« Konsti hatte gelacht. »Bei Luka Pavi ć evi ć s Ansprachen ist es fast noch wichtiger, dass er sich selbst erklärt, worum es geht und was zu erwarten ist. Das ist weniger pädagogisch, sondern fast beschwörerisch.«
»Gentlemen«, sagte der Coach, »es gibt Momente, in denen wir uns beweisen müssen. Jedes Spiel, das wir spielen, besteht aus einzelnen Momenten. Jeder dieser Momente ist ein entscheidender Punkt in der Zeit. Diese Punkte addieren sich. Sie entscheiden Spiele, sie entscheiden Saisons, sie entscheiden unsere Karrieren. Es gibt Schlüsselmomente im Leben. Unsere Karrieren sind miteinander verwoben. Jeder einzelne Moment kann entscheiden, ob es aufwärts oder abwärts geht. Wir müssen uns der Verantwortung bewusst werden. Wir müssen die einfachen Dinge tun, wir dürfen uns ein Scheitern nicht gestatten. Es geht heute nicht um Alba Berlin, es geht um unsere eigene Integrität. Heute Abend müssen wir gemeinsam daran arbeiten. Vierzig Minuten lang. Große Sportler sind in der Lage, den nächsten Schritt zu gehen.« Der Coach wartete eine Sekunde, dann schaltete er den Fernseher wieder an, um die Bamberger Bilder zu zeigen. Der Bildschirm flackerte. »Gentlemen«, sagte der Coach, »alles, was im Leben zählt, ist die Familie und der gute Ruf.«
Wir waren das erste Mal in der Bamberger Halle. Als wir ankamen, waren Predrag Šuput und Karsten Tadda bereits nass geschwitzt. Die beiden warfen sich ein, und während er warf, lächelte Šuput ein Lächeln, das genau so war, wie Coach Pavi ć evi ć sich das Lächeln eines Spielers vorstellte, wenn der Gegner die Halle betrat. Ein Lächeln an der Grenze zum Grinsen. Selbstsicher, fast arrogant.
Šuput sah seine Gegner nicht einfach nur an. Er war nicht höflich. Er musterte seine Gegner von oben bis unten. Man sah, dass es in ihm arbeitete. Šuput lächelte Tadija und Marinovi ć an, weil sie Serben waren wie er. Er lächelte Sven Schultze an, weil der gegen ihn verteidigen musste. Er traf einen Dreier, fast ohne hinzusehen. »Das Problem mit Šuput ist ganz simpel«, hatte Yassin Idbihi schon vor Wochen einmal erklärt, »ich habe noch nie gegen diesen Motherfucker gewonnen. Er ist richtig gut. Er killt uns jedes Mal.«
Predrag Šuput war ein Spieler alter serbischer Schule, niedriger Körperschwerpunkt und große Rumpfstabilität. Bei Šuput ging es nicht um Stil. Er trug geschmacklose Schuhe. Er verzichtete auf sichtbare Muskeln. Er sprang nicht, um in der Luft fotografiert zu werden. Šuput sprang, um den Rebound zu holen. Er sprang so hoch, wie er springen musste, um zu gewinnen. Šuput wirkte wie ein Mann unter Kindern. Manchmal schien er eine Diva zu sein, manchmal hatte er schlechte Spiele, manchmal zeigte er sein Beschwerdegesicht, lamentierte und zeterte. Aber Šuput war kein Fake. Sein Lächeln war gefährlich. In den entscheidenden Momenten ließ Šuput seinem Lächeln Taten folgen. Šuput warf und traf und lächelte Alba Berlin an.
Dieses Lächeln würde uns bis zum Saisonende begleiten.
Zum Spiel gibt es nicht viel zu sagen. Wir hatten wochenlang darauf gewartet und uns gute Chancen ausgerechnet. Eigentlich eine ganz normale Hauptrundenbegegnung der Bundesliga, aber mit großem Symbolwert.
Das Spiel war persönlich. Am Morgen im Hotel hatte Sven Schultze mit seinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern gefrühstückt. Seine Mutter arbeitete bei Bamberger Spielen am Bierstand, sein Vater Rudi war bis zum letzten Jahr Hallensprecher gewesen. Nach vielen Jahren würde ihr Sohn zum ersten Mal im Trikot eines Gegners in die Bamberger Arena einlaufen. Er würde ausgepfiffen werden, sein Vater würde neutrale Farben tragen.
Das Spiel war richtungsweisend. Es ging um die Identität von Alba Berlin. Es ging darum, das nervöse Auf und Ab einer schwierigen Saison zu beruhigen und so gut zu sein, wie man es von sich selbst verlangte. Ein Sieg würde die Weichen für den Rest der Saison neu stellen. Eine andere Mannschaft würde nach Berlin zurückreisen, eine Mannschaft, die keinesfalls gegen Tübingen verliert. Nicht gegen Hagen, nicht gegen Bonn. Nicht gegen
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