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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
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müssen entscheiden, ob wir Patrick bringen.«
    »Wir bringen ihn.«
    »Okay. Ist gut für ihn. Und für unsere Perspektive. Frankfurt.«
    »Ist gut für den Hallensprecher. Kann er zwölf Namen ansagen.«
    Im Himmel über Berlin halten die Riesen ihr Kaffeekränzchen. Nach dem Shootaround und vor dem Mittagessen sitzen Femerling, Schultze, Miro, Tadija und Heiko Schaffartzik im zwölften Stock vom Teamhotel und sehen über die Stadt, jeder einen Kaffee und ein Stück Torte vor sich. Quark-Beere, Schokolade, Käsekuchen. Die Stadt liegt ausgebreitet unter uns, der Fernsehturm und der weite Westen dahinter, der Potsdamer Platz, der Reichstag, die O2 World links. Die Hochhäuser von Marzahn und Lichtenberg. Schultze und Femerling wechseln sich bei dieser Kaffeerunde mit der Rechnung ab, heute ist Femerling dran, denn er war lange weg. Jetzt ist er zurück, man sieht ihm die Erleichterung an.
    Die Jungs sprechen hier oben nicht über Oldenburg. Hier oben scheint man aus den Zusammenhängen gerissen und der Welt enthoben. Das Gespräch dreht sich um die guten alten Zeiten, um die Ausbrüche »des Alten«, Coach Svetislav PeŠi ć , es geht um große Spieler und ihre großen Geschichten. Wie bei jedem ordentlichen Kaffeekränzchen geht es um Gerüchte. Schaffartzik liest in der FAZ ein Interview mit Dirk Nowitzki, der gerade das Playoff-Viertelfinale gegen die Los Angeles Lakers gewonnen hat.
    Erstaunlich ist: Selbst wenn sie unter sich sind, sprechen die Spieler voller Respekt von Nowitzki. Dass er es schafft, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Dass er bleibt, wer er ist. Wie er politischer Stellungnahme aus dem Weg geht. Wie unfassbar gut er spielt. Jeder Einzelnewünscht ihm die Meisterschaft. Schultze hat schon in der Bayernauswahl für Dreizehnjährige mit Nowitzki gespielt. Femerling war bereits Nationalspieler, als Dirk dazukam. Sie haben gemeinsame Schlachten geschlagen. Türkei 2001. Indianapolis 2002. Belgrad 2005. Hier bewundert ihn niemand so hemmungslos, wie die Welt ihn bewundert. Dazu kennen sie ihn zu gut. Niemand ist starstruck . Das größte Kompliment der Jungs, so scheint mir, ist ihr neidloser Stolz, eine schöne Form der Bewunderung. Die Jungs sprechen bei Käsekuchen über die Gesichter seines Spiels, irgendwann faltet Schaffartzik die Zeitung zusammen, und Schultze bestellt noch einmal Cappuccino.
    »Wenn Dirk die Lakers schlägt, dann sollten wir nicht gegen Oldenburg ausscheiden«, sagt Femerling. Ich sitze daneben und mir wird klar, dass meine Saison im Profibasketball heute zu Ende geht, wenn die Jungs das Spiel verlieren. Aber es fühlt sich so an, als wäre das unmöglich. Dirk würde auch nicht verlieren.
    Das nächste wichtigste Spiel der Saison. Mithat hat mit Bobby gesprochen, und Bobby hat seine dunklen Vorausahnungen gegen offene Zuversicht eingetauscht. In der Kabine arbeitet er sich durch seine Rituale, zwischendurch rennt er immer wieder zur Toilette.
    »Nervös?«, fragt Konsti, als Bobby aus dem Bad kommt. »Oder schlechter Fisch?«
    »Fisch?« Bobby arrangiert seine Ketten und Kreuze und Armbänder. »Ich sage dir: Femerling macht heute ein Riesenspiel. Und dann fliegen wir nach Frankfurt.« Professor Mika bringt vier Espresso, er bietet mir zum ersten Mal einen an.
    Auf meinem Rundgang durch die tote Zeit vor dem Spiel werde ich nervös. Der Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit kommt mit seinen Bodyguards in der Halle an, kurz danach die grüne Gegenkandidatin Renate Künast. Sie trinken zusammen ein Bier im VIP – Bereich, um sie herum eine Traube aus Journalisten und Sicherheitsleuten. »Wowereit scheint tatsächlich Ahnung vom Basketball zu haben«, sagt einer der Journalisten erstaunt. Ich sehe den Spielern beim Aufwärmen zu, die Oldenburger Fans trommeln sich bereits warm, aber heute sind die Berliner Fans lauter. Ich habe meine italienischen Kopfhörer dabei und suche nach der richtigen Platte für das entscheidende Spiel ( Build a Ro cket Boys! von Elbow). Max Drübeck steht an seiner Tür und wünscht mir einen schönen Nachmittag und gute Unterhaltung. »Wir sehen uns wieder«, sagt er, »wenn nicht nächste Woche, dann doch nächstes Jahr.«
    »Ich würde euch heute gerne etwas Neues erzählen«, sagt Coach Katzurin, als er die Kabine betritt. Die Spieler wollen raus, sie wollen spielen, sie wollen die Entscheidung. Schultze ist schon jetzt klatschnass geschwitzt. Er und Bryce haben sich besonders intensiv aufgewärmt. Katzurin sieht in seine Notizen, er

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