Gentlemen, wir leben am Abgrund
habe bei Luka Schaffenskraft, Willen und Überzeugung gespürt. Alles Dinge, die dazu führen, dass ein Schiff Kurs aufnimmt. Aber du warst bei dem Spiel in Hagen dabei. In Hagen habe ich gesehen, dass wir unsere Möglichkeiten nicht nutzen. Und zwar aus Angst zu verlieren. Aus reiner Angst vor der Niederlage. Wir hatten keine Risikobereitschaft. Wir wurden immer enger. Während des Hagen-Spiels ist bei mir völlig unabhängig vom Resultat ein starkes Gefühl von Zweifel aufgekommen. Ich habe gesehen, dass das Spiel nicht funktioniert, wenn man sich nicht öffnet und probiert oder sogar experimentiert. Mir sind massive Zweifel gekommen, dass wir auf diese Weise unsere Möglichkeiten wirklich optimal nutzen. Es geht weniger um die Art Basketball zu spielen, sondern eher um die Art, mit Dingen umzugehen. Ich bin dann in mich gegangen, und habe dieses Gefühl mit einigen wenigen Personen abgeglichen. Wie gesagt, rationale Reflektionen gibt es ständig. Aber in Hagen kam ein starkes Bauchgefühl hinzu: Wir machen komplett dicht.
Gab es klar benennbare Momente im Spiel?
Ich hab gesehen, dass die Mannschaft sehr emotional war. Die Standardkritik an Lukas System ist ja gewesen, dass die Mannschaft an Emotionalität und Intensität verliert. Dass man quasi vor Automatismen erstarrt. Diese Kritik hat eine gewisse Berechtigung, aber Automatismen können auch eine große Qualität hervorbringen. Ich habe in Hagen gesehen, dass sich die Mannschaft komplett verausgabt hat. Die Spieler waren sehr emotional und wollten ums Verrecken gewinnen. Und dann schlägt ein Hagener Point Guard Marinovi
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oder Jenkins und zieht zum Korb, dann kommt der Pass und dann kommt der Dreier. Wir wissen, dass das unser Problem ist. Wir wissen, dass Marinovi
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Schwächen hat, wir können aber nicht sagen ‚Verdammt Marinovi
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, warum kann der das nicht?’, sondern wir müssen Wege finden, trotz dieser Schwächen zu gewinnen. Aber in Hagen habe ich keine Reaktion von Luka gesehen. Wir haben schließlich ganz ohne Point Guard gespielt. Das sah ängstlich aus. Aber selbst die Angst hat nicht dazu geführt, ein Stück weit aufzumachen, ganz im Gegenteil. Ich bin ein großer Verfechter davon, seine eigene Philosophie gegen Widerstände durchzuziehen. Die größten Coaches dieser Welt entwickeln ihr System und ziehen es dann durch. Aber mit Öffnungen, Möglichkeiten und Anpassungen. Es geht nur um eins: Wie können wir mit unseren Instrumenten, mit unseren Waffen, mit den Voraussetzungen, die wir uns geschaffen haben, den Gegner in Schach halten und am Ende gewinnen. Es gibt keinen großen Trainer dieser Welt, der sich weigert, Dinge zu tun, die er vorher vielleicht noch nie getan hat. Aber das ist meiner Meinung nach eine Sache, an der Luka arbeiten muss. Eine gewisse Offenheit muss möglich sein. In Hagen kamen mir starke Zweifel, ob wir so weitermachen können.
Du hast vorhin vom Herz gesprochen.
Das ist der zweite Punkt. Man muss die Herzen ansprechen. Ich glaube, dass Luka eine sehr, sehr hohe soziale Kompetenz hat. Aber in letzter Konsequenz ist es so, dass man bei allem Technischen, bei aller Vorbereitung, bei allem Training, Periodisierung, medizinischer Betreuung, Ernährung und so weiter auch situativ reagieren können muss. Es gibt nicht für alles eine Bedienungsanleitung.
Mir schien es immer so, dass ein ganzes System von Erklärungen parat stand, bevor die Fehler überhaupt passiert sind. Ein komplexes System von Gründen für noch nicht Eingetretenes. Die Schiedsrichter hast du vorhin ja schon angesprochen. Der ungünstige Spielplan. Der Schnee. All diese Dinge wurden häufig vorab ins Feld geführt, als Erklärungen für etwas, was noch gar nicht geschehen war. Und Coach Katzurin sagt im ersten oder zweiten Training: „Ich weiß,dass es Scheiße ist, dass wir jetzt reisen müssen, aber: Schedule is a fact.“ Damit ist das Thema für ihn abgehakt. Mit solchen Ideen muss sich niemand mehr beschäftigen. Der entscheidende Punkt ist wohl, dass am Ende eine Mannschaft Meister wird. Vielleicht die, die mit diesen äußeren Widrigkeiten am besten umgehen kann.
Das ist eigentlich der Punkt. Themen wie Spielplangestaltung und die Qualität der Schiedsrichter sind natürlich wichtig. Wir müssen uns schon wegen der Verfügbarkeit der O2-World sehr aktiv um den Spielplan kümmern, da muss man sich vom ersten Tag an beteiligen. Aber ich weiß, was du meinst: das war eine Art self-fulfilling prophecy. Bei Alba Berlin zu spielen
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