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Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Titel: Geopfert - [Gus Dury ; 1] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und machte mich auf die Suche nach einem neuen Wohnsitz. Im Freien überkam mich ein Déjà-vu-Gefühl. Konnte nicht genau den Finger darauflegen. War überzeugt, dass mir Milos Geist folgte. Fühlte mich selbst praktisch auch schon wie ein Gespenst.
    Ich verspürte das drängende Verlangen, mich umzudrehen. Als ich es tat, sah ich, dass ich wieder mal danebengelegen hatte.
    Der Würfel stand mir gegenüber auf der anderen Straßenseite. Er versteckte sich hinter einem Daily Record , aber diese kastenförmige Statur hätte ich immer und überall erkannt.
    ›So, du Dreckskerl‹, dachte ich, ›diesmal bist du geliefert!‹ Billys Tod war nicht der einzige, um den ich mich jetzt kümmern musste; ich würde von diesem Mistkerl ein paar Antworten bekommen.
    Langsam setzte ich mich in Bewegung. Im Schlendertempo. Schnurstracks Richtung Princes Street. Ich wollte mich umdrehen, einen kurzen Blick auf den Würfel werfen, aber so dumm war ich nicht.
    Vor dem Waterstone’s, dem ersten auf der Haupteinkaufsstraße, blieb ich stehen und starrte ins Schaufenster. Warf in der Spiegelung einen Blick auf die Menschen hinter mir. Es war zu schwer, jemanden deutlich auszumachen, mit Ausnahme eines Penners, der eingemummelt war wie der Sherpa Tenzing. Eine Hand ausgestreckt, in der anderen eine Decke wild herumflatternd, probierte er sich im freien Improvisieren.
    Ich sagte: »Hey, Flavor Flav, komm mal her!«
    Der Penner kam in meine Richtung. Er sah aus, als fehlte ihm noch eine einzige weitere Dose Starkbier, und schon pennte er in seiner eigenen Pisse.
    »Okee, Mista – für eine Tasse Tee?«
    Ich schob eine Hand in meine Tasche, und sein ganzer Kopf folgte der Bewegung.
    »So«, sagte ich und kramte einen Fünfer heraus. »Der hier gehört dir, falls du mir helfen kannst.«
    »Oh, leck mich«, sagte er.
    »Immer mit der Ruhe. Ich will nur, dass du mir sagst, ob hinter mir immer noch so ein Typ mit einer Daily Record in der Hand steht.«
    Der Penner grinste. Zeigte eine Zahnreihe mit mehr Lücken als ein Kamm, was aussah, als hätte er seine Beißerchen mit einem Seil statt mit Zahnseide gereinigt.
    »Äh, aye«, sagte er. Dann hielt er mir seine Hand hin.
    »Nicht so schnell. Wie sieht er aus?«
    Der Penner runzelte die Stirn. Er war nervös, und ich sah, dass er den Geschmack des Starkbiers bereits auf der Zunge hatte. Ich trat vor ihn. »Und sorg dafür, dass es gut aussieht – ich will nicht, dass er ahnt, was ich vorhabe.«
    Ein Nicken. Klopfen auf einen Nasenflügel. Und ein weiterer Blick auf dieses Gebiss.
    »Äh, er ist ein fetter kleiner Mistkerl!«
    »Was trägt er?«
    »Karierte enge Hose, eine dreckige alte Lederjacke.«
    »Das ist mein Mann!«
    Ich gab ihm den Fünfer – er nahm das Geld und verduftete.
    Ich machte mich in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg. Überquerte die Straße an der Ampel. Nahm den Fußweg um die Princes Street Gardens. Hatte den halben Weg hinter mir, als auf dem Schloss die Dreizehn-Uhr-Kanone abgefeuert wurde.
    Am Mound rannte ich die Treppe zur Old Town hinauf. Mein Herz klopfte wie ein Bohrhammer. Mir tropfte der Schweiß von der Stirn in die Augen. Ich fühlte mich völlig untrainiert. Absolut ungeeignet für solche körperlichen Anstrengungen. Ich hoffte, dem Würfel ging’s noch schlechter.
    »Schön durchhalten, Mr. Würfel«, flüsterte ich, »immer schön durchhalten.«
    Am oberen Ende der High Street, am Denkmal für David Hume, entdeckte ich ihn, wie er am Rand des Lawnmarket entlangschlich, genau an der Stelle, wo früher das Schafott für öffentliche Hinrichtungen gestanden hatte. Er hatte keine Ahnung, wie dicht er davor stand, selbst gelyncht zu werden.
    Ich hatte ihn: außer Atem, sich die Backen mit seiner Zeitung fächelnd.
    Ich ging die Royal Mile hinunter. Erhöhte mein Tempo, hielt das Seitenstechen aus. Bog in die Cockburn Street. Hörte das Keuchen des Würfels praktisch hinter meinem Rücken. Meine Beine schmerzten, als ich einen letzten Spurt einlegte.
    Mit gesenktem Kopf stürmte ich die Stufen des Fleshmarket Close hinauf.
    Oben angekommen, ließ ich mich schwer mit dem Rücken gegen die Wand sacken.
    Ich schnaufte. »Ich bin ja so was von am Arsch.«
    Ich hielt die Augen offen, schob mich in einen leeren Ladeneingang und wartete.
    Der Würfel sah aus, als stünde er am Rande eines Herzinfarkts. Er mühte sich ab, immer wieder die Kraft zu finden, seinen untersetzten Körper eine weitere Stufe hinaufzuwuchten. Aber das musste man ihm lassen, er hielt

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