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Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Titel: Geopfert - [Gus Dury ; 1] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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sie sich dem Empfang. Zwei armlange Handschuhe schlugen auf den Marmor. Es sah aus wie ein nonverbales Stichwort, allerdings eines, das zu entziffern ich bislang keine Veranlassung gehabt hatte. Für den Concierge hingegen buchstabierte es in Großbuchstaben: »Action!« Er kam hinter seiner Theke hervorgewuselt, um Nadja die Jacke abzunehmen, sich zu verbeugen und zu katzbuckeln wie ein Kuli in Gegenwart des Maharajas.
    »Bringen Sie das auf mein Zimmer«, sagte sie.
    Fast eine Verbeugung. Stirnlocke zupfend. »Sehr wohl, sofort!«
    Der Würfel warf mir einen Blick zu und sah, dass wir beide das Gleiche dachten: ›So lebt also die andere Hälfte?‹
    Ich stand auf. Wie aus dem Nichts empörte sich der Mann aus Leith in mir, und der Geist des großen schottischen Dichters Robert Burns mahnte: »Geld ist nichts als äußrer Schein … Mensch sein heißt viel mehr als das.«
    Sie machte ein paar Schritte in den Fahrstuhl. Ich folgte ihr, drückte die Tür-auf-Taste. Der empörte Ausdruck auf ihrem Gesicht stachelte mich nur an.
    »Nimm ihre Jacke«, sagte ich zum Würfel.
    Der Concierge war außer sich. »Also wirklich, ich meine …«
    »Nein, ist schon in Ordnung«, sagte Nadja. »Diese Männer sind … Mitarbeiter von mir.«
    Die Tür glitt zu.
    Die Luft in der Fahrstuhlkabine knisterte bedrohlich. Ein Pulverfass, das jeden Moment hochgehen konnte. Liebend gern spielte ich den Funken.
    »Mitarbeiter?«, wiederholte ich.
    »Was soll das hier werden?«, fragte Nadja.
    »Ich habe versucht …«, setzte der Würfel an.
    »Halt dein verfluchtes Maul!«, sagte ich.
    Ich trat auf Nadja zu. Je näher ich kam, desto überwältigender fand ich den Duft ihres Parfums. Ich musterte sie von oben bis unten. Sie wich vor mir zurück. Schätze mal, ich selbst roch nicht annähernd so gut. »Dies, gute Frau, ist der Augenblick der Wahrheit.«
    Ich hielt den Fahrstuhl an. Öffnete die Tür. »Mach einen Abgang!« Ich riss dem Würfel Nadjas Jacke aus der Hand und verpasste ihm auf dem Weg in den Flur einen Tritt in den Hintern. Er hatte jetzt seinen Zweck erfüllt. »Und vergiss nicht – das mit der Machete war mein voller Ernst!«
    Als der Fahrstuhl sich wieder in Bewegung setzte, musterte ich Nadja.
    Sie blieb absolut unbeweglich. Hatte noch nicht mal einen Blick für mich. Ich spürte, wie meine proletarischen Vorfahren sich hinter mir in einer Schlange anstellten. Jeder einzelne von ihnen schubste und drängte und forderte, dass ich meine Rolle im Klassenkampf übernahm. Ich wehrte sie ab, so lange ich konnte. Selbst als sie ihre einfachen Mützen verloren und mit ihren genagelten Schuhen darauf herumtrampelten, behielt ich noch die Ruhe.
    Als der Fahrstuhl anhielt, sah Nadja durch mich hindurch. Etwas machte Klick!
    Ich schlug auf die Türsperre. Packte mit einer Hand ihr Gesicht und sagte: »Hör mit deiner arroganten Nummer auf, Lady.«
    Sie versuchte sich abzuwenden, hob ihre ordentlich manikürten Krallen vor meine Augen. In einem Sekundenbruchteil schnellte mein Unterarm vor und drückte sie am Hals gegen die Wand.
    »Das ist jetzt die einzige Warnung, die Sie bekommen. Machen Sie weiter so, und Sie werden herausfinden, was für ein unverbesserlicher Macho ich in Wahrheit bin.«
    Sie wurde blass. Trotz des dick aufgetragenen Make-ups sah ich, dass ich sie hatte.
    »Jetzt werden wir ganz nett und brav hier rausspazieren – verstanden?«
    Sie konnte sich nicht rühren, signalisierte aber ihre Zustimmung mit dem Flattern ihrer langen Wimpern.
    Ich ließ sie los. »Stellen Sie mich nicht auf die Probe. Das wäre ein Fehler, den Sie womöglich nicht mehr bereuen könnten.«

I ch hatte nur ein einziges Wort für das, was ich angesichts des Luxus von Nadjas Zimmer empfand: Entsetzen. Ich komme aus der Arbeiterklasse, ein Kerl wie ich kann gar nicht anders.
    Der Teppichboden war so weich, dass er eine zusätzliche Schicht zu den luftgepolsterten Sohlen meiner Docs abgab. Aber wohlfühlen könnte ich mich hier nicht. In meinem Leben war kein Platz für vergoldete Spiegel und Intarsien aus Walnussholz. Versuchte aufzuaddieren, was es wohl kostete, einen Raum wie diesen einzurichten. Es gelang mir nicht – hatte auch nichts Vergleichbares im Versandhauskatalog von Argos gesehen. Ich wusste nur, dass ich mehrere Leben benötigen würde, um mir ein einziges Cabriole-Bein des Tisches leisten zu können, den Nadja behandelte wie ein Möbelstück aus dem Flachkarton einer großen Handelskette.
    »Ich brauche eine Zigarette«, sagte

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