Geopfert - [Gus Dury ; 1]
den Stoß ungeöffneter Post. »Hier, geh das mal durch.«
Im Schlafzimmer bedeckten Billys Kleidungsstücke den Boden. Er hatte einige teure Klamotten, aber keinen Geschmack. Krawatten, denen der Kerl von den Nachrichten auf Kanal 4 nicht das Okay geben würde.
In seinem Kleiderschrank waren noch mehr Regalböden entfernt worden. Von wegen entfernt, rausgerissen passte eher. Seine Schuhe allerdings schienen unberührt, standen in zwei ordentlichen Reihen auf dem Boden. Hatte den Geistesblitz, sie umzudrehen. Freute mich sofort, dass mir das eingefallen war. Ein Schlüssel für ein Steckschloss fiel aus einem Reebok-Laufschuh.
Ich hob den Schlüssel auf. »Hallo, was haben wir denn hier?«
Sah aus wie ein alter Schlüssel, war schon angerostet. Ganz sicher nicht oft benutzt. Ich rief Nadja: »Hey, kommst du bitte mal her?«
Keine Antwort.
Ich stand auf, ging zurück ins Wohnzimmer.
»Nadja«, rief ich. Dann noch mal lauter. »Nadja … Nadja.«
Die Wohnung war leer. Sie war abgehauen.
I ch warf einen Blick in den Flur und aus dem Fenster, aber von Nadja keine Spur. Sie war mit dem Stapel Post verschwunden.
Ich ging durchs Haus und suchte nach etwas, wo der Schlüssel passen könnte. Ich entdeckte zwei Wäschetruhen, eine Schublade an Billys Schreibtisch, doch der Schlüssel, den ich gefunden hatte, passte nirgends. Er sah aus wie ein alter Türschlüssel, wahrscheinlich für eine Außentür. Ich steckte ihn ein und beschloss, einer Ahnung folgend, noch das Zimmer zu überprüfen, das ich bislang ausgelassen hatte, das Bad.
Es ist schon ein Klischee, aber ich vermutete, der Wasserbehälter war immer noch ein heißer Tipp, wenn man etwas suchte, was die Leute nicht offen herumliegen lassen wollten. Ganz besonders, dachte ich, wenn Billy etwas vor Nadja verheimlichte – denn auf keinen Fall würde sie riskieren, sich beim Herumschnüffeln im Scheißhaus einen Nagel abzubrechen.
Ich hob den Deckel an, drückte das Schwimmerventil herunter. Nichts. Der Wasserbehälter enthielt nur Wasser. Ich setzte den Deckel wieder auf, drehte mich zum Flur um. Auf dem Weg dorthin knarrte eine Bodendiele unter meinem Schritt. Ich schaute nach unten, Teppichboden, aber an der Wand schienen ein paar Reißzwecken zu fehlen.
Es war etwas mühsam, aber schließlich schaffte ich es, den Teppichboden zu lockern. Er hatte einen gummierten Rücken und ließ sich leicht bewegen, nachdem ich erst mal die Halterungen entfernt hatte, die ihn fixierten.
»Bingo!«
Eine der Dielen war erst vor kurzem angehoben worden, die Nägel entfernt, Späne an den Rändern, wo sie hochgehebelt worden war.
Ich schlug mit dem Handballen auf die Kante, und die Diele kam hoch. Darunter versteckt war eine kleine Nike-Sporttasche. Ich griff hinein und zog sie heraus. Fand darin Billys Reisepass, Sparbücher, einen ganzen Schwung nicht unterschriebener Kreditkarten und ungefähr zwanzig Riesen in gebrauchten Scheinen.
»Hast wohl einen flotten Abgang geplant, Billy-Boy, hmh?«
Ich legte die Diele zurück, trat den Teppichboden wieder fest und warf mir die Tasche über die Schulter.
Ich versuchte Billys Wohnung genau so zu verlassen, wie ich sie vorgefunden hatte – man denke an Hiroshima danach.
Draußen schlenderte ich lässig davon. Keine leichte Aufgabe, wenn du zwanzig Riesen auf der Schulter hast. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht überfallen worden, und ich betete, dass ich nicht ausgerechnet heute an der Reihe war. Nicht etwa aus Furcht, das Bargeld zu verlieren, sondern weil ich immer noch die Glock bei mir hatte. Wollte nicht dabei erwischt werden, wie ich einen Kapuzenmann mit einer so gefährlichen Waffe abwehrte. Hatte das Gefühl, dass die Folgen unverhältnismäßig sein könnten.
Im Wall erwarteten mich dieselben Gesichter. Der alte Säufer musterte mich scharf und stand auf. Wenn ich schon bei unserer letzten Begegnung keine Zeit für ihn gehabt hatte, dann jetzt noch viel weniger, begrüßte ihn daher mit einem fröhlichen: »Verpiss dich.«
In seinem Gesicht, mit einer Haut so fleckig wie Kebab-Fleisch, konnte ich keinerlei Feindseligkeit ausmachen. Er schwankte, sah ziemlich weggetreten aus, setzte sich dann wieder und sabberte in sein Pint.
»Das war ein bisschen harsch«, kritisierte Col. »Das ist ein Gast, mit dem du da gerade geredet hast.«
»Ich habe keine Zeit für Nettigkeiten.«
Ein Stirnrunzeln, ein Kopfschütteln. »Ich weiß, wir sind wohl kaum das Ritz, aber ein Mann hat ein Minimum an Höflichkeit
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