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Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Titel: Geopfert - [Gus Dury ; 1] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Zug an meiner Zigarette und trat sie dann sorgfältig unter meinem Absatz aus.
    Meine Schwester stand am Fenster, halb verborgen hinter den sich bewegenden Stores.
    »Hallo, Gus«, sagte sie, als ich durch die Tür kam.
    Meine Seele schrie auf, als ich hineinging. Jede Faser meines Leibes bettelte um Alkohol.
    »Kann ich dir die Jacke abnehmen?«, fragte Cathy.
    »Ja. Ach, und könntest du das hier bitte verstauen?« Ich gab ihr Milos Asche.
    »Was ist das?«
    »Ein alter Freund. Sei bitte vorsichtig damit.«
    Sie stellte die Tragetasche auf das oberste Fach des Garderobenschranks und winkte mich ins Wohnzimmer weiter. Einen Moment blieb ich in der Tür stehen, während meine Handflächen feucht vor Schweiß wurden.
    »Angus«, rief meine Mutter. Sie stand auf und breitete die Arme aus.
    »Hallo, Mum … Wie geht’s dir?«
    Sie nahm mein Gesicht in beide Hände, drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Du bist weiß wie ein Gespenst!«
    »Mir geht’s gut, wirklich.«
    »Wann hattest du das letzte Mal eine anständige Mahlzeit, mein Junge?«
    »Mir geht’s gut, Mum. Nicht nötig, um mich so ein Theater zu machen.«
    »Setz dich. Ich werde dir was zu essen machen. Was hättest du denn gern?«
    »Nichts, ich bin nicht hungrig.«
    »Unsinn, du nimmst ein Sandwich.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Mum, ich bin hier, um … Dad zu besuchen.« Die letzten Worte bissen mir in den Hals wie eine Rasierklinge.
    Meine Mutter setzte sich wieder. »Natürlich. Du willst sicher so früh wie möglich zu ihm.«
    Was ich wirklich wollte, war, mich umdrehen und wieder hinausgehen. Auf die Beerdigung warten und dann auf seinem Grab tanzen. Sagte aber: »Klar.«
    Sie stand wieder auf, strich ihren Rock glatt und rückte ihr Haar zurecht. »Ich werde mal nachsehen, ob er so weit ist. Der Doktor hat ihm etwas gegeben, damit er schlafen kann, aber jetzt könnte er wieder wach sein.«
    »In Ordnung.«
    Auf der Treppe drehte sie sich noch mal um. »Er hat Tag und Nacht nach dir gefragt, mein Junge – das weißt du doch, oder?«
    Ich blickte auf. »Ja, Mum, ich weiß.«

»I ch denke, er kann jetzt Besuch empfangen«, sagte meine Mutter.
    Ich stand auf. Meine Knie fühlten sich weich an. Warum war ich hier? Nichts, was er sagen könnte, würde etwas daran ändern, wie ich empfand.
    Ich wollte mich nicht so fühlen. Ich wusste, dass meine Verbitterung mich mindestens so verletzt hatte wie jeder seiner Schläge. Aber hier war ich, drehte den Knauf an der Tür seines Schlafzimmers.
    »Gus … bist du es?«, fragte mein Vater.
    Er sah blass und alt aus, seine Haut war grau nach den Wochen im Haus. Sein Blick hatte alles Bedrohliche verloren.
    Ich starrte ihn an, und es fiel mir schwer, dieses Bild aufzunehmen. Hatte dieser mitleiderregende Mann tatsächlich meine Kindheit zerstört und bis zum heutigen Tag mein Leben verdorben?
    Wie ich ihn so anstarrte, konnte ich keinen Hass mehr auf ihn empfinden. Was ich an Hass empfand, galt einem völlig anderen Menschen.
    »Gus, komm rein«, keuchte er.
    Mein Vater streckte eine Hand in meine Richtung aus und winkte mich an sein Bett.
    Die Hand sah kraftlos aus, knochig und verwelkt, die Fingerkuppen violett, wo sein schwaches Herz nicht mehr genug Blut hinpumpte, um die Durchblutung auf einem normalen Niveau zu halten.
    Ich starrte seine Hand an und fragte mich, ob das wirklich genau dieselbe Hand war, vor der ich in Angst gezittert hatte. Ich starrte sie an und versuchte Worte zu finden, die ausdrückten, was ich empfand. Was ich als kleiner Junge empfunden hatte und wie ich mich jetzt fühlte. Aber ich fand kein einziges Wort.
    »Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte mein Vater, die Worte kamen zittrig über seine grauen Lippen. »Ich hatte so gehofft, du würdest kommen.« Er hustete, prustete, schnappte nach Luft. »Ich hatte gehofft, dass du mir eine Chance gibst, alles zu erklären.«
    Ich nickte, fand immer noch keine Worte. Meine Stimme war anderswo, verborgen in den Tiefen meiner Seele, auch nur ein einziges Wort überstieg meine Kräfte.
    Mein Vater nahm meine Hand und sprach für uns beide. »Ich weiß, warum du gekommen bist, mein Sohn. Nicht wegen mir. Ich habe keinen Besuch verdient. Deine Schwester und dein Bruder sind gekommen, aber du bist weggeblieben. Ich werfe dir das nicht vor – du warst schon immer ein anderer Fall, aber ich hatte gehofft, du würdest kommen.«
    Warum war ich anders? Warum saß jetzt ich hier und nicht Cathy oder Michael? Er hatte drei Kinder gezeugt. Der

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