Geopfert - [Gus Dury ; 1]
würden.
Ich versuchte im Spiegel meine Krawatte zu richten; gar nicht so einfach, wenn es einem schwerfällt, sich selbst anzusehen.
Ich war mir nicht ganz im Klaren, was ich angesichts des Todes meines Vaters empfinden sollte. Es tat ihm leid, ja, aber die Erinnerungen waren trotzdem noch da. Wann immer ich spürte, dass sich so etwas wie Sympathie einschlich, musste ich mich fragen, ob es nicht eigentlich eher Selbstmitleid war.
Ich wusste nur eins, der, der ich war, wollte ich nicht mehr länger sein. Mein Vater hatte versucht, mich mit Prügeln und schroffen Worten zu formen, aber sieh sich einer mal an, was er getan hatte. Sieh sich einer mal an, wer und was ich war. Im Grunde doch nur ein Nichtsnutz. Ein Alkoholiker und Verlierer.
Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich ihm keinen Vorwurf machen konnte. Ich hatte das eine Million Mal durchgekaut. Wenn ich es besser gehabt hätte, wer konnte wissen, ob ich dann anders geworden wäre? Kinder, die mit Zuneigung überschüttet werden, entwickeln ihre eigenen Probleme. Sie gehen hinaus in die Welt und suchen eine Art von Liebe, die sie dort nie finden werden. Meine Probleme waren ganz allein meine eigenen. All die Jahre hatte ich sie gehegt und gepflegt. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, sie loszulassen. Ich wusste, das war es, was mein Vater versucht hatte, mir zu zeigen.
Der Sarg stand mitten auf dem Esszimmertisch, meine Mutter saß daneben, tupfte immer wieder ihre Augen mit einem Taschentuch ab. Cathy stand neben ihr, hatte eine Hand behutsam auf ihren Rücken gelegt.
»Die anderen … kommen sie hierher?«, fragte ich.
»Bald. Michael spricht gerade mit den Leuten vom Fernsehen.«
»Die Glotze?« Ich fragte mich, warum man Michael darum gebeten hatte, ich war doch der Älteste, und, mein Gott, ich hatte Erfahrung mit den Medien.
»Die machen einen Beitrag für die Nachrichten.«
Meine Mutter ergriff das Wort. »Meint ihr, irgendwer wird sich an ihn erinnern?«
»Mum, zu seiner Zeit hatte er einen Namen«, sagte ich. »Es wird jede Menge Leute interessieren.«
Ich wusste, das war nicht so. Der Fußballzirkus war weitergezogen. Für die heutigen Fans war er nur ein Relikt. Ein seltsames Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, in der Männer noch Männer waren.
»Ach, ich weiß nicht. Heute heißt es doch nur noch David Sowieso hier und David Sowieso da. Der mit dem spindeldürren Mädel von dieser Gewürz-Band verheiratet ist.«
»David Beckham«, sagte ich. »Wir können dankbar sein, dass er aber auch gar nichts von diesem hübschen Knaben hat. Mein Vater hat nie Schienbeinschoner getragen. Ich glaube kaum, dass Becks neunzig Minuten beinharter Angriffe einfach so wegstecken könnte.«
Das überraschte mich selbst. Da verteidigte ich doch glatt meinen Vater.
»Weißt du, was George Best mal über Beckham gesagt hat? ›Er kann mit dem linken Fuß nicht schießen, er kann keinen Kopfball spielen, er kann nicht attackieren, und besonders viele Tore schießt er auch nicht. Davon abgesehen ist er schon in Ordnung.‹«
Das entlockte ihnen das eine oder andere Lächeln. Zur Abwechslung hatte ich mal was Gutes getan.
»Angus, mein Sohn«, sagte meine Mutter, »ich möchte dich um etwas bitten.«
Ich kniete mich neben sie. »Klar, was immer du willst.«
»Nun möchte ich aber nicht, dass du meinst, du müsstest Ja sagen – wirklich, das möchte ich nicht.«
»Mum, um was geht’s?«
»Es kommen ein paar Männer vom alten Club deines Vaters, um den Sarg tragen zu helfen … und dann ist da noch Michael, aber ich dachte …?«
Ich sah genau, wohin das hier führte, es war das letzte, worum meine Mutter mich noch bitten konnte.
»Mum, es ist kein Problem. Ich werde helfen, den Sarg zu tragen.«
Wieder hob sie ihr Taschentuch. Mehr Tränen.
»Komm jetzt, da draußen werden Kameras warten – und nicht vergessen: immer die Ohren steif halten.«
Cathy legte einen Arm um ihre Schultern. »Komm, Mum. Warum legst du dich nicht noch etwas hin? Es ist noch jede Menge Zeit, bevor wir uns auf den Weg zur Kirche machen müssen.«
Die zwei ganz in Schwarz gekleideten Frauen boten einen merkwürdigen Anblick, als sie den Raum verließen.
Einen Moment lang war ich allein mit meinem Vater in seinem Sarg. Ich fühlte mich unbehaglich und ging ins Wohnzimmer hinüber. Als ich die Tür hinter mir schloss, kehrte Cathy zurück.
»Sie hält sich gut«, sagte meine Schwester. »Meinst du, es wird so bleiben?«
»Sie ist ein zähes altes Mädchen«,
Weitere Kostenlose Bücher