Geopfert - [Gus Dury ; 1]
Gedanke, dass er mich ausgesucht hatte, war wie ein Schlag in die Magengrube.
»Warum?«, sagte ich. Das Wort brannte in meinem Herzen, erstickte mich beinahe auf dem Weg hinaus.
»Du bist der Erstgeborene, mein Sohn, und ich bin immer hart mit dir ins Gericht gegangen.« Er stotterte beim Sprechen, seine Augen sahen blutrot aus und hatten dunkle, schwarze Ringe. »Ich habe gelernt, den anderen gegenüber ein bisschen freundlicher zu sein, aber meine Umgangsweise mit dir war nur sehr schwer zu ändern.«
»Warum?« Da war es wieder. Es war immer schon auf genau diese Frage hinausgelaufen.
»Ich hatte so große Pläne für dich. Mein erstgeborener Sohn. Ich wollte, dass du mein Junge warst, aber du warst schon immer dein eigener Herr. Ich dachte, ich könnte dich für mich gewinnen, indem ich hart und streng zu dir war – was anderes kannte ich nicht. Ich bekam, was ich haben wollte, indem ich hart war, ein harter Spieler war ich … Ich dachte, du brauchtest das Gleiche.«
»Du hast dich geirrt.«
»Ich weiß. Ich weiß es heute, mein Sohn. Ich verstehe jetzt, das tu ich wirklich, ich sehe, dass es falsch war, was ich getan habe.«
»Warum hast du es damals nicht gesehen?« Ich presste diese Worte durch fest zusammengebissene Zähne. »Ich hätte es damals gebraucht, dass du es erkennst.«
»Ich habe gesehen, was in dir steckt, und es war nicht das Gleiche, was in mir steckte, Angus. Das wollte ich ändern. Ich wollte, dass du mehr würdest als ich.«
»Ich könnte niemals so sein wie du.« Ich spuckte die Worte aus. Ich wollte ihn ansehen, als ich das sagte, aber es ging nicht.
»Es ist besser für dich, dass du nicht so bist wie ich«, sagte er. »Meine Glanzzeit war nur von kurzer Dauer.«
»Das ist mir nicht entgangen … und Mum auch nicht.«
»Ich weiß. Aber jetzt, wo der Herr kurz vor der Ernte steht, habe ich das Gefühl, als verstünde ich doch noch.« Mein Vater hob die Hände an sein Gesicht, versuchte die Tränen in seinen Augen zu verbergen. »Du bist ein völlig anderer Mensch als ich, von Grund auf anders, und ich habe versucht, dich auf die einzige mir bekannte Art zu formen, aber das war falsch von mir. Man kann ein Kind nicht formen, schon es zu versuchen ist falsch. Das Beste, was man tun kann, ist, sein eigenes Leben zu leben und zu hoffen, dass das Kind diesem Beispiel folgt.«
Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich, ich verstünde etwas von ihm. Ich sah, dass es ihm leid tat, die Worte musste ich gar nicht erst hören.
»Angus, mein Sohn, du bist ein gescheiter Kopf. Das wusste ich schon immer. Und es hat mich auch immer verwirrt. Ich habe nie gewusst, was ich mit dir machen sollte. Ich, ein Tölpel vom Land, wie hätte ich auch?«
Ich sah ihn an. »Ist schon in Ordnung«, sagte ich.
»Nein, mein Sohn, du verstehst nicht. Ich weiß, dass ich dich kaputt gemacht habe. Aber all diese Jahre, es war einfach zu viel, zu viel, sich vorzustellen, was hätte sein können.«
»Hör auf.«
»Ich war ein Feigling. Es war verletzter Stolz, der dich aus dem Haus gejagt hat, der dich weggestoßen hat, wie ich es immer getan habe. Und warum? Himmel, mein Sohn, es tut mir so leid. Ich war so ein Narr damals, aber wir lernen immer erst ganz am Ende. Deshalb ist es nie zu spät, es kann niemals zu spät sein, sich zu ändern, zuzugeben, dass es einem leid tut, oder?«
Ich sah meinen Vater an, der verbraucht im Bett vor mir lag. Er sah erschöpft aus jetzt, und es schockierte mich, dass man die Anstrengung seinem Gesicht so deutlich ansah.
»Nein«, sagte ich.
Verschwendet. War es nicht genau das, was er mit dem größten Teil seines Lebens gemacht hatte? Er hatte es verschwendet. Für sein Land zu spielen, die Bewunderung, das alles bedeutete ihm jetzt, wo er starb, gar nichts mehr.
»Es ist schon in Ordnung«, sagte ich, etwas in mir hatte Mitleid mit ihm, der alte, vor meinen Augen sterbende Mann brauchte Trost, »wir machen alle Fehler.«
»Wiederhol bitte nicht meine.« Als er die Augen schloss, war es, als würde man zusehen, wie ein Licht in ihm erlosch.
Ich drückte fest die Hand meines Vaters.
Dann verließ ich sein Bett, schloss die Tür und ging nach unten, wo meine Mutter auf mich wartete. Sie erhob sich, als ich eintrat.
»Was ist?«, fragte sie.
»Ich glaube, er ist tot, Mum.«
A m Tag der Beerdigung hängte meine Mutter einen schwarzen Kreppschal an die Haustür. Auf einer weißen Karte stand, wann die sterblichen Überreste auf den Friedhof gebracht werden
Weitere Kostenlose Bücher