Geopfert - [Gus Dury ; 1]
Geländer, schaute mich an. »Das war nicht der, oder?«
»Genau der.«
»Gus, ich würde mal sagen, da hast du noch eine alte Rechnung offen.«
»Scheiß drauf. Das ist Geschichte. Ich würde den Job nicht geschenkt zurückhaben wollen.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich. Versuchst du mir irgendwas zu sagen, Hod?«
»Ich? Nein, niemals. Und? Was wirst du jetzt tun?«
Ich zeigte hinaus auf die Stadt. »Schau, da passieren so viele Dinge. So viele Menschen, und alle versuchen sich gegenseitig aufs Kreuz zu legen. Hältst du es für möglich, dass man irgendwas planen kann?«
»Hannibal dachte das, ja.«
Ich sah Hod an. Es war das erste Mal, dass ich aus seinem Mund etwas hörte, was auch nur annähernd an Vernunft oder Bildung herankam.
»Die Alpen überqueren?«
»Die Folge muss ich verpasst haben.«
»Welche Folge?«
»Als sie in den Alpen waren – das A-Team.«
»Mein Gott, du redest über diesen Hannibal.«
»Ja. ›Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!‹ Was dachtest du denn, von wem ich rede?«
Ich schüttelte den Kopf, wollte sagen: Der Idiot tut mir leid, begnügte mich dann aber mit: »Schon gut.«
Ich drehte mich um und ging wieder hinein.
Hod folgte mir und stellte seine Bierflasche auf den Tisch. Er ging ins Nebenzimmer und kam mit einem Behälter, etwa so groß wie ein Schuhkarton, zurück.
»Äh, Gus, ich schätze, es gibt keinen wirklich guten Augenblick für so was, deshalb gebe ich’s dir einfach jetzt.«
Ich sah den Behälter an, den er mir entgegenhielt. »Was ist das?«
»Das ist von der Bestattung … die Asche deines Freundes.«
Mein Atem verlangsamte sich, beschleunigte wieder. »Milo.«
»Ich, äh, weiß nicht … sollte ich irgendwas sagen?«
»Ist schon okay.« Ich schüttelte ihm die Hand. »Danke, dass du das getan hast, Hod.«
Er wandte sich wieder ab, setzte sich.
»War es eine gute … Feier?«
»Wir haben getan, was du gesagt hast, haben ihm einen anständigen Abschied gegeben.«
»War irgendwer … irgendwelche Angehörigen da?« Das war eine dumme Frage. Mir war sofort klar, dass ich jetzt nicht Milos Asche in Händen halten würde, wären Angehörige aufgetaucht.
Hod schüttelte den Kopf. »Nur ich und Amy … und eine Tusse vom Sozialamt.«
Es klang nach einer traurigen Veranstaltung. Nichts, was man sich im Kalender rot anstreichen würde. Aber, mein Gott, das schlechte Gewissen. Ich war der einzige Mensch gewesen, den dieser Mann am Ende seines Lebens gekannt hatte, und ich hatte es nicht mal zu seiner Beerdigung geschafft.
»Alles in Ordnung, Gus?«
»Ja, o ja, sicher. … Fühle mich nur ein bisschen, du weißt schon, ausgebrannt.«
»Amy hat geheult wie ein Schlosshund. Sie hat gesagt, sie hätte den Typen ja nicht mal gekannt, aber, hey, es wäre eine Beisetzung, oder?«
»Sie ist sehr einfühlsam.«
»Da hast du mal recht.«
Hod beobachtete mich, wartete auf eine Reaktion.
»Ich weiß. Ich weiß. Ich muss sie ganz behutsam enttäuschen.«
I ch konnte nicht schlafen und verbrachte die Nacht mit Lesen: Die Legende vom heiligen Trinker . Der Autor, Joseph Roth, ein chronischer Alkoholiker, hatte sich mit vierundvierzig Jahren in Paris zu Tode gesoffen.
Ich hatte dieses Buch schon immer geliebt, noch bevor ich selbst zum Trinker wurde, und nie ein heiliger. Es handelt von einem Säufer namens Andreas, dem das für einen Trinker Schlimmste widerfährt: Er hat eine Glückssträhne.
In den Anmerkungen des Übersetzers auf der Rückseite meiner Ausgabe steht: »Es ist offensichtlich, dass Roth eine Zeitlang die Gründe ausgegangen sind, noch länger am Leben zu bleiben.«
Wenn so ein Satz eine Saite in dir zum Klingen bringt, dann weißt du, dass du in ernsten Schwierigkeiten steckst.
Ich las weiter: »Er argumentierte raffiniert: Während die Trinkerei mittelfristig sein Leben verkürze, hielte sie ihn kurzfristig am Leben – und er gab sich große Mühe, diese Logik auf die Probe zu stellen.«
In letzter Zeit lähmten mich die Kater. Es gab mal eine Zeit, da konnte ich am nächsten Tag aufwachen, die vergangene Nacht einfach abschütteln und wieder von vorn beginnen. Heute beschrieb nur noch eine Wendung, wie ich mich fühlte: fix und fertig.
Hörte John Lennon singen: »Living on borrowed time … without a thought to tomorrow.«
Das Telefon klingelte.
Ich setzte mich im Bett auf und ging ran, bevor ich mir die Nummer des Anrufers ansah.
»Hallo, Gus.«
Geschockt.
»Mum … hallo.«
Ihre Stimme klang schwächer denn je, richtig
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