Geopfert - [Gus Dury ; 1]
sagte ich. »Sie braucht nur ein bisschen Ruhe.«
»Sie hat letzte Nacht kein Auge zugetan.«
»Das überrascht mich nicht. Was ist mit dir?«
Cathy strich sich mit den Fingern durchs Haar. Ich sah, dass sich ein paar graue Strähnen eingeschlichen hatten. »Ich komme schon klar.«
»Setz dich, okay? Du rennst ja schon den ganzen Tag wie von der Tarantel gestochen herum.«
»Nein, ich wollte einen Tee aufsetzen.«
»Cathy, ich hole den Tee. Leg deine Beine hoch.«
Ich versuchte mich davon abzuhalten, aber auf dem Weg zur Küche musste ich einfach einen Blick auf die Esszimmertür werfen. Ich hatte immer wieder Tote gesehen, aber das hier fühlte sich anders an. Das hier war das Zuhause, in dem ich als kleiner Junge gespielt hatte; es ging mir ordentlich an die Nieren. Es liegt nahe zu sagen, beim Tod ginge es um das Ende, aber das hier fühlte sich wirklich so an, als wäre der Vorhang zu etwas gefallen.
Ich brachte Cathy ihren Tee.
»Danke«, sagte sie.
»Gern geschehen.«
Meine Schwester saß auf der Kante ihres Stuhls, blies in die Tasse. »Gus, da ist etwas, was ich dir sagen muss.«
»Hm-mhmmmh.«
»Ich weiß, du und Deborah, also, ihr versteht euch momentan nicht so besonders –«
Ich hob eine Hand. »Korrektur. Debs lässt sich von mir scheiden.«
Cathy stellte ihre Tasse auf der Armlehne des Sessels ab. Sie holte tief Luft, sprach dann ganz langsam. »Sie war vor ein paar Tagen hier. Sie hatte das mit Dad gehört, und ich glaube, es war mehr wegen Mum, jedenfalls wollte sie sich verabschieden.«
»Und?«
»Ich hab ihr gesagt, er werde die Nacht wahrscheinlich nicht überleben – das war, bevor du gekommen bist.« Sie nahm ihre Tasse, trank einen Schluck.
»Ich weiß, dass du auf irgendwas hinauswillst, Cath.«
»Also, sie hat gebeten, dass man ihr wegen der Beerdigung Bescheid gibt.«
»Sie kommt zur Beerdigung. Ist es das, was du mir sagen willst?«
Cathy stellte ihre Tasse auf den Boden, dabei schwappte etwas Tee über den Rand und lief an der Seite hinunter.
»Habe ich was Falsches gemacht, Gus?«
A ls sich der Leichenzug langsam über den Friedhof bewegte, setzte meine Mutter eine tapfere Miene auf. Alte Frauen erhoben sich von den Gräbern, mit deren Pflege sie gerade beschäftigt waren, und warfen ihr wissende Blicke zu. Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, grüßten uns mit einem Nicken und sprachen uns ihr Beileid aus.
Ein paar Männer mit schwarzen Armbinden redeten, als wären wir alte Freunde. Ich vermutete, sie stammten aus den Spielertagen meines Vaters; durchaus möglich, dass wir in der Vergangenheit schon mal das eine oder andere Wort gewechselt hatten. Doch ich erkannte keinen von ihnen. Ihre Namen waren mir ein absolutes Rätsel.
Am Grab blendete die Sonne. Ein gelber Streifen wies den Weg zur aufgebrochenen Erde, wo der Geistliche mit einer kleinen Trauerschar stand. Mehr unbekannte Gesichter, Menschen, die ich vielleicht einmal gekannt hatte, heute jedenfalls nicht mehr.
Nicht einmal den Geistlichen kannte ich, einen jungen Burschen mit blassblondem Haar und noch blasseren Wangen. Er war schweißgebadet, der Schweiß tropfte von seiner flachen Stirn. Alles schien für ihn sehr schwierig zu sein. Er begann zu sprechen: »Cannis Dury war landauf, landab bekannt«, sagte er. »Er kannte den Glauben, nicht nur den Glauben an Gott den Herrn, denn der Glaube hat viele Erscheinungsbilder, sondern auch den Glauben an sich selbst. Wenn er aufs Fußballfeld hinausging, dann zeigte Cannis Dury seinen Glauben in einem starken Körper und einer Entschlossenheit zu gewinnen. Er besaß Talent, und er besaß Courage, und er war für viele ein Vorbild.«
Ich versuchte die Stimme des Geistlichen auszublenden, jedes einzelne Wort war eine Erinnerung an Dinge, die ich lieber vergessen hätte.
»In diesen Zeiten der Veränderung sehen wir, dass viele falsche Idole verehrt werden, aber es sind die Männer mit Glauben, dem Glauben an Gott den Herrn und an sich selbst, an die wir uns um Rat und Orientierung wenden können.«
Bitte. Ich hatte genug gehört.
Ich löste mich aus der Menge, ging ein Stück fort. Unter einer Eiche steckte ich mir eine Zigarette an und schaute zu, wie sie meinen Vater zur ewigen Ruhe betteten. Meine Mutter warf eine Schaufel Erde auf den Sarg, trat dann zurück. Der Geistliche gab das Zeichen zum Ende der Zeremonie, indem er zur Kirche zurückkehrte.
Während die Trauergemeinde sich auflöste, steckte ich mir am Stummel der letzten eine neue
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