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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskapaden
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Vidals
Onkel war. Mit vereinten Kräften mußten sie eigentlich imstande sein, den
Marquis in Schach zu halten.
    Ihre Hand
schlüpfte verstohlen unter den Mantel und tastete nach ihrer verwundeten
Schulter, auf der noch immer das feine Taschentuch Seiner Lordschaft als
Notverband lag, und sie dachte, sie würde sich wohl ihr ganzes Leben lang nicht
mehr von diesem kleinen Stückchen Stoff trennen, das sie stets daran erinnern
würde, wie sie, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, geglaubt hatte,
daß er sie liebte. Tränen traten ihr in die Augen. Sie hielt sie mühsam zurück
und warf einen ängstlichen Blick auf ihre Mitreisenden, ob sie jemand beobachtete.
Aber die dicke Frau schlief mit offenem Mund, die beiden Bauern ihr
gegenüber waren in ein ernstes Gespräch vertieft, und aus dem gleichmäßig
pfeifenden Atem ihres Nachbarn schloß sie, daß dieser ebenfalls selig
schlummerte.
    Nun, dieser
winzige Augenblick würde ihr ein Trost in ihrer gemeinsamen Zukunft sein. Wie
hatte er sie genannt? Nein, sie wollte sich seine Worte nicht in Erinnerung
rufen, sie wollte nicht an den Ausdruck seines Gesichts denken, als er sich
über sie beugte, oder an den zärtlichen Klang seiner Stimme – es war ein viel
zu gefährliches Spiel.
    Einmal –
und das schien ihr jetzt unendlich lange her – hatte sie geglaubt, sie könnte
ihn heiraten, wenn er sie nur liebte, aber damals hatte sie nicht überlegt, was
es für ihn bedeuten würde, sich an eine Frau zu binden, die so tief unter ihm
stand. Vielleicht würde sein Vater ihn verstoßen; ja es lag sogar unter
Umständen in seiner Macht, ihn zu enterben, und nach allem, was sie vom Herzog
gehört hatte, war ihm das ohne weiteres zuzutrauen. Sie zog dabei überhaupt
nicht in Betracht, daß seine Liebe einen solchen Verzicht überwinden könnte,
oder gar, ihn in niedrigere Kreise herabzuziehen; dazu hatte man ihr zu
deutlich vor Augen geführt, wie tief ein Mann sinken konnte, dachte sie ein
wenig traurig, als daß sie sich hätte einreden können, der Marquis würde seine
gesellschaftliche Position behalten. Ihr eigener Vater war das beste Beispiel
dafür. Nicht einmal seine alten Freunde hatten noch mit ihm verkehrt – einem
Ausgestoßenen, auf den man hinabsah, weil er jene unverzeihliche Sünde begangen
hatte. Wenn der Herzog von Avon das Recht besaß, seinen Sohn zu verleugnen,
wäre dieser nur zu bald verdammt, in der Welt einer Miss Challoner und eines
Onkel Henry Simpkins zu leben. Schon die bloße Vorstellung war so absurd, daß
es ihr, wäre ihr Herz weniger schwer gewesen, beinah ein Lächeln entlockt
hätte.
    Mittlerweile
war es in der Kutsche dunkel und kalt geworden. Miss Challoner hüllte sich
fester in ihren Mantel und versuchte, ihre verkrampften Glieder ein bißchen zu
lockern. Ob sie überhaupt jemals dieses Pont-de-Moine erreichen würden? Sie
hielten zwar oft, und jedesmal hoffte sie, endlich am Ziel zu sein, aber
obwohl einer der beiden Bauern inzwischen ausgestiegen war und zwei weitere
Personen einen Platz im Wagen belegt hatten, wurde sie noch immer nicht
aufgerufen. Sie wußte nicht, wie spät es war, sie hatte nur das Gefühl, daß sie
nun schon stundenlang unterwegs sein mußten, und begann sich zu fragen, ob der
Kutscher sie vergessen hatte und Pont-de-Moine längst hinter ihnen lag, als die
Kutsche plötzlich vor einem hellerleuchteten Gasthof anhielt und der Fahrer den
Schlag aufriß.
    Seine laute
Stimme, mit der er Pont-de-Moine ankündigte, weckte die dicke Frau. Auch das in
ihren Armen dösende Kind begann zu wimmern, und
Miss Challoner ließ sich dankbar auf die Straße hinunterheben.
    Der
Kutscher, der offenbar ein freundliches Interesse für sie hegte, deutete mit
dem Daumen auf das offene Tor des Gasthofes und sagte, sie solle sich am besten
hier um ein Nachtquartier kümmern. Sie betrachtete das Gebäude mit einem
zweifelnden Blick, weil sie auf Grund seines gepflegten Eindrucks fürchtete,
daß es zu teuer für sie war, und fragte, ob es hier keine kleinere Herberge
gab.
    Der
Kutscher kratzte sich am Kinn und musterte sie nachdenklich. «Nein, nicht für
Sie», meinte er dann ehrlich. «Gibt nur noch 'ne Taverne am Ende des Dorfs,
aber das ist keine Bleibe für 'ne anständige Frau.»
    Miss
Challoner bedankte sich und drückte ihm etwas leichtsinnig eine Silbermünze in
die Hand, wodurch ihr ohnehin mageres Kapital noch mehr zusammenschrumpfte.
    Sie blieb
noch stehen und beobachtete, wie er sich wieder auf den Bock schwang.

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