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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer
Autoren: Eskapaden
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Niederlage
bevorstand. Sollte sie sich an Onkel Henry wenden? Miss Challoner schnitt eine
Grimasse. Wenn er etwas wußte, war es nur eine Frage der Zeit, bis es Tante
Bella erfuhr, und das wiederum bedeutete mit Sicherheit, daß bald alle Welt
darüber tuschelte. Miss Challoner verspürte kein Verlangen, Sophias
wahnwitziges Vorhaben öffentlich zu verbreiten. Sie begann an einer
Fingerspitze zu knabbern und grübelte weiter, bis sie schließlich einschlief.
    Der Morgen
brachte ihr wieder Seine Lordschaft vor Augen, diesmal aber in voller
Lebensgröße und nicht als Ausgeburt ihrer Phantasie, denn Sophia bestand
darauf, daß ihre Schwester sie in die Kensington Gardens begleitete, wo sie
Eliza Matcham treffen wollte. Als Mary den Marquis erspähte, der ihnen auf
einem der Wege entgegengeschlendert kam, wurde ihr der ungewohnte Drang nach
sportlicher Betätigung sofort klar.
    Wie üblich
war Vidal zwar prächtig, doch etwas nachlässig gekleidet, und die
unverbesserlich ordnungsliebende Mary Challoner konnte nicht umhin, sich zu
wundern, daß eine schlampig gebundene Krawatte und ungepudertes Haar einem Mann
so gut standen. Eines mußte man Vidal lassen – er hatte jedenfalls Stil.
    Sophia
schlug errötend die Augen nieder, als Seine Lordschaft ihre Hand ergriff, diese
an die Lippen führte und danach auf seinen Arm legte.
    «Oh,
Mylord», hauchte sie, wobei sie ihm unter gesenkten Wimpern einen koketten
Blick zuwarf.
    Er lächelte
nachsichtig auf sie herab. «Nun, mein Kind, was gibt es?»
    «Ich habe
nicht erwartet, Sie hier zu treffen», erklärte Sophia, wohl um ihrer Schwester
Sand in die Augen zu streuen.
    Der Marquis
kniff sie zärtlich ins Kinn. «Sie haben ein schlechtes Gedächtnis, Liebste.»
    Miss
Challoner unterdrückte nur mit Mühe ein Kichern. Mylord lehnte es also ab, sich
der Kunst der Heuchelei zu befleißigen. Meiner Treu, es fiel einem wahrhaftig
nicht leicht, den Kerl unsympathisch zu finden.
    «Ich weiß
wirklich nicht, was Sie meinen», schmollte Sophia. «Wir haben uns hier eigens
mit Eliza Matcham und ihrem Bruder verabredet – wo die beiden nur sein mögen?»
    «Ach,
gestehen Sie doch, daß Sie meinetwegen kamen!» sagte der Marquis. «Oder sollten
Sie mich tatsächlich vergessen haben?»
    Sophia warf
trotzig den Kopf zurück. «O la la, glauben Sie denn, ich denke den ganzen Tag
an Sie, Sir?»
    «Nun, ich
hoffte wenigstens, ein kleines Plätzchen in Ihrem Herzen einzunehmen.»
    Miss
Challoner unterbrach das Geplänkel. «Mir kam es eben so vor, als hätte ich Miss
Matcham etwas weiter unten diesen Weg überqueren sehen», bemerkte sie.
    Seine
Lordschaft streifte sie mit einem verärgerten Blick, doch Sophia fing das
Stichwort sofort auf. «Oh, wo? Ich möchte sie um nichts in der Welt versäumen!»
    Es dauerte
nicht lange, bis man Miss Matcham mit ihrem Bruder James überholte, und Mary
durchschaute unverzüglich, daß es die Aufgabe der beiden sein sollte, sie in
ein Gespräch zu verwickeln, damit der Marquis und Sophia sich ungestört
unterhalten konnten, ein Liebesdienst, der aber daran scheiterte, daß das
Opfer dieses Komplotts sich mit aufreizender Hartnäckigkeit weigerte, sich von
seinem Schützling trennen zu lassen.
    Da weder
der Marquis noch Sophia sich die Mühe machten, sie in ihre Konversation mit
einzubeziehen, und Miss Matchams Aufmerksamkeit ganz davon in Anspruch
genommen war, zu verhindern, daß der Saum ihres Musselinkleides mit dem
feuchten Gras in Berührung kam, hatte Mary reichlich Gelegenheit, den
Auserkorenen ihrer Schwester unter die Lupe zu nehmen. Schon nach kurzer Zeit
war sie überzeugt davon, daß keiner von beiden für den anderen das empfand,
was sie sich unter Liebe vorstellte. Sophia würde Seine Lordschaft nach
längstens einer Woche zu Tode langweilen, und während sie Vidal zuhörte und
ihn beobachtete, fragte sie sich von neuem, wie die Kleine sich einbilden
konnte, daß er ihr an Gefühl mehr entgegenbrachte als nur eine flüchtige
Leidenschaft. Selbstverständlich war er verrückt nach ihr; er war der Typ, der
über Leichen ging, um das zu bekommen, was er wollte, aber sie mußte ihn schon
völlig falsch einschätzen, wenn er nicht auch zu jenen Menschen gehörte, die
sofort das Interesse verloren, sobald sie am Ziel ihrer Wünsche anlangten.
Arme Sophia, dachte Miss Challoner, wenn du dann versuchst, ihn mit deinen
naiven Drohungen zur Ehe zu zwingen! Diesen Mann konnte man nicht erpressen,
weil es ihm total gleichgültig war, was die Leute von
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