Georgette Heyer
anblickte, «ich möchte auf
keinen Fall den Eindruck erwecken, über meiner Mutter und Sophia zu stehen.»
«Den
Eindruck erwecken?» sagte er verächtlich. «Die beiden können Ihnen nicht das
Wasser reichen. Sie – aber ich will Sie nicht noch mehr beleidigen.»
Miss
Challoner sagte gelassen: «Da Sie mich ohnehin bereits in jeder nur
erdenklichen Weise gekränkt haben, Sir, nehmen Sie sich jetzt bitte kein Blatt
vor den Mund. Ich werde mich bestimmt nicht aufregen.»
«Also gut»,
sagte Seine Lordschaft eisig. «Dann bin ich so frei, Ihnen zu erklären, Madam,
daß weder Ihre Mutter noch Ihre Schwester über die Manieren einer Dame,
geschweige denn einer anständigen Frau verfügen. Sie dagegen sind anscheinend
ebenso anständig wie wohlerzogen. Und», fuhr Seine Lordschaft mit
aufflammendem Ärger fort, «es ist absolut nicht meine Art, sittsame junge Damen
zu entführen.»
«Ich wollte
ja nicht, daß Sie das tun», betonte Miss Challoner. «Das Ganze war ein Irrtum,
und es tut mir sehr leid. Ich fürchte übrigens, daß mein Benehmen teilweise mit
schuld daran war.»
«Ihr
Benehmen», sagte der Marquis vernichtend, «war einfach unmöglich! Und wie Sie
sich in Newhaven aufführten – die reinste Dirne! Ihre ganze Eskapade war
unbesonnen, leichtfertig und dumm. Wenn ich meine Drohung mit der Reitgerte
wahrgemacht hätte, wäre das nur Ihre wohlverdiente Strafe gewesen.»
Miss
Challoner saß sehr aufrecht da und blickte unverwandt in ihren Schoß. «Mir ist
kein anderes Mittel eingefallen, um Sophia vor Ihnen zu retten», sagte sie
kläglich. «Natürlich, jetzt sehe ich ein, daß es idio tisch war.» Sie
schluckte. «Aber ich hätte nie gedacht, daß Sie mich statt dessen mitnehmen
würden.»
«Sie sind
ein dummes Gänschen», antwortete der Marquis gereizt.
«Mag sein»,
erwiderte Miss Challoner mit wachsendem Mut, «aber wenigstens habe ich es gut
gemeint, während Sie, Mylord, von Anfang an nur Böses im Sinn hatten. Sie
versuchten, Sophia zu ruinieren, und als ich das nicht zuließ, ruinierten Sie
mich.»
«Verzeihen
Sie», sagte Seine Lordschaft kalt. «Aber einem Mädchen Ihres Schlages würde ich
nie auch nur ein Haar krümmen.»
«Wenn Sie
mich noch einmal als junge Dame ohne Makel hinstellen, Mylord, bekomme ich
einen hysterischen Anfall», unterbrach ihn Miss Challoner scharf. «Denn wären
Sie früher zu dieser schmeichelhaften Ansicht gelangt, hätten Sie uns beiden
eine Menge Ärger erspart.»
«Da haben
Sie recht», bestätigte er.
Miss
Challoner kramte nach ihrem Taschentuch und schneuzte sich heftig. Es war ein
sehr prosaisches Geräusch. Sophia hätte an Marys Stelle nur stumm, aber dafür
um so beredter mit den feuchten Wimpern geklimpert und sich ganz bestimmt nicht
dazu hinreißen lassen, laut zu schnüffeln. Miss Challoner dagegen schnüffelte,
das stand außer Zweifel, und Lord Vidals für weibliche Tränen völlig
unempfindliches Herz schmolz. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte
um etliches sanfter: «Sie brauchen nicht zu weinen, meine Liebe. Ich sagte
Ihnen doch, einer jungen Dame von Ihrem Schlag tue ich nichts zuleide.»
Ihre Augen
funkelten drohend. «Ich bin ziemlich müde, sonst würde ich nie einer solchen
Schwäche nachgeben. Heulsusen sind mir ein Greuel, das können Sie mir
glauben.»
«Davon bin
ich in der Tat überzeugt», sagte Seine Lordschaft.
Miss
Challoner steckte ihr Taschentuch weg. «Wenn Sie wissen, was ich als nächstes
tun soll, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es mir sagen würden, Sir.»
«Es gibt
nur eine einzige Lösung», erklärte Seine Lordschaft. «Sie müssen mich
heiraten.»
Der Salon
begann sich vor Miss Challoners Augen zu drehen, und sie schloß die Lider, weil
dieser Anblick sie viel zu sehr an ihre Leidenszeit an Bord der Albatross erinnerte.
«Wie bitte?» fragte sie schwach.
Vidal zog
die Brauen hoch. «Mein Vorschlag scheint Sie zu überraschen?»
«Das kann
man wohl sagen», antwortete Miss Challoner, indem sie versuchsweise die Augen
wieder öffnete.
«Sie haben
eine bemerkenswert gute Meinung von meinem Charakter, Madam», stellte er
ironisch fest.
Miss
Challoner erhob sich von ihrem Stuhl und knickste. «Sie sind außerordentlich
gütig, Mylord, und ich danke Ihnen für die Ehre, aber ich muß es ganz
entschieden ablehnen, Ihre Frau zu werden.»
«Sie
heiraten mich», sagte Seine Lordschaft, «und wenn ich Sie mit Gewalt zum Altar
schleife.»
Sie
blinzelte ihn verblüfft an. «Sind Sie im Besitz
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