Georgette Heyer
vermochte. Während ein
Tag dem andern folgte, vermißte er sie immer heftiger, und das Haus, das sie
gemeinsam ausgewählt hatten, wurde ihm immer verhaßter. Ja, er vermißte sogar
den schrillen Gesang des Kanarienvogels, der ihn so oft zur Verzweiflung
getrieben hatte. Er hatte sich an den Fesseln, die ihm die Ehe auferlegt,
wundgerieben; er hatte über den Zwang gestöhnt, Hero auf Bälle und Empfänge
begleiten zu müssen; er hatte sich eingebildet, seine Bequemlichkeit sei durch
ihre Eigenheit gestört worden, immerzu in Verlegenheiten zu geraten, aus denen
er sie dann retten mußte; er hatte sich sogar sehnsüchtig der Tage seines
fessellosen Junggesellenlebens erinnert und gemeint, daß er froh wäre, sie
zurückrufen zu können. Nun, Hero hatte sie ihm zurückgegeben – aber es war eine
Enttäuschung. Solange sie für ihn verloren war, hatte er nicht einmal Lust, auf
die Jagd zu gehen; und als einer seiner Freunde ihn aufforderte, jeden
Schlagbaum von London bis Barnet mit schöner scharlachroter Farbe zu bemalen,
erstaunte er diesen unternehmungslustigen Gentleman mit der trockenen Antwort:
«Blödsinn!» ebenso wie dadurch, daß er sich entschieden weigerte, der Aufforderung
Folge zu leisten.
Die
sensationelle Nachricht von Heros Verschwinden hatte natürlich auch die
Gräfinwitwe erreicht, und da sie aus gutem Grunde wußte, daß ihre
Schwiegertochter nicht, wie alle Welt vermutete, zur Erholung in Sheringham
Place weilte, schrieb sie an Sherry und verlangte von ihm eine Erklärung.
Nachdem er das Schreiben einige Male durchgelesen hatte, fuhr Sherry nach
Kent, um ihr die Erklärung in eigener Person zu geben. Der ebenfalls anwesende
Mr. Paulett begann diese Ehe zu beklagen, die, wie er schon immer
vorausgesehen hatte, auf diese Weise enden mußte; er erschrak aber doch, als
er sich einem Neffen gegenübersah, den er nicht wiedererkannte. Sherry trotzte
weder wie ein kleiner Junge noch bedrohte er *ihn heftig, sondern er führte
seinen Onkel mit eiskalter, jedoch unerbittlicher Höflichkeit an die Tür, hielt
sie für ihn offen und verbeugte sich dort mit kalter Förmlichkeit, was Mr.
Paulett ungemein enervierend fand.
Die
Gräfinwitwe vergoß Tränen, als sie diese Zeichen der Reife an ihrem Sohn
wahrnahm, und sie hätte sich auch seiner Hand Bemächtigt und ihm ihr
Beileid bezeigt, wenn er es ihr gestattet hätte. Sie bat ihn, es ihr nicht
übelzunehmen, aber sie habe nie geglaubt, daß Hero Wantage gut genug für ihn
sei. Es war für den Rest ihrer Rede, die zu halten sie eben im Begriffe stand,
tief bedauerlich, daß der Viscount erwiderte, er nehme es sogar sehr übel und
daß ihre Feststellung durchaus nicht auf Wahrheit beruhe und er seine Mutter
ersuchen müsse, diese Äußerung nicht zu wiederholen. Danach beraubte er sie
jeder Möglichkeit, noch irgend etwas zu sagen, denn er setzte sie davon in
Kenntnis, daß er gewisse Änderungen in seiner Lebensführung vorzunehmen
beabsichtige, die ihre Übersiedlung von Sheringham Place auf ihren Witwensitz
erforderlich mache – natürlich sobald es ihr passen würde, wie er mit seiner
neuen überströmenden Höflichkeit hinzufügte. Weiters kündigte er seine Absicht
an, seinen Wohnsitz, unmittelbar nachdem er sich mit seiner Frau ausgesöhnt
hatte, in das Palais auf dem Grosvenor Square zu verlegen, und bat Mylady
gleichzeitig, alle jene Möbelstücke entfernen zu lassen, die ihr persönliches
Eigentum waren oder für die sie eine besondere Vorliebe hatte. Denn er habe
die Absicht, das Palais unverzüglich renovieren zu lassen, und er wolle es
ohne Zeitverlust in Angriff nehmen.
Als Mylady
wieder zu Atem gekommen war, versuchte sie ihm, wenn auch nur schwächlich,
ernste Vorstellungen zu machen. Der Viscount schnitt ihr das Wort kurz ab. «Ich
habe es beschlossen, Madam. Es ist für mich an der Zeit, daran zu denken, eine
Familie zu gründen. Ich hätte das schon von allem Anfang an tun sollen. Es
könnte auch schon zu spät sein – ich weiß es nicht. Aber wenn – wenn – meine
Frau zu mir zurückkehrt, dann werden wir es, wie ich hoffe, diesmal besser
verstehen.»
«Du kannst
dich darauf verlassen, daß ich die letzte bin, die dir dein Heim vorzuenthalten
wünscht», sagte Lady Sheringham mit bebender Stimme. «Aber ich weiß nicht, aus
welchem Grund du annimmst, daß deine Frau zu dir zurückkehren wird, denn ich
wette zehn zu eins, daß sie mit einem andern Mann durchgegangen ist.»
«Nein»,
sagte Seine Lordschaft, drehte ihr den Rücken
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