Georgette Heyer
er ihr zu verstehen geben wollte, er
werde am Donnerstag, wenn er sie auf den Maskenball begleitete, in der Lage
sein, ihr zu sagen, was sie tun müsse, um sich von dieser unerträglichen
Schuldenlast zu befreien.
Doch am
Donnerstag abend, als die beiden schönen Damen sein Eintreffen auf dem
Grosvenor Square bereits erwarteten, war er noch nicht erschienen.
Keine der
beiden Damen war überrascht, daß er sich bei der Einhaltung einer Verabredung
verspätete, denn seine Lebensgewohnheiten waren ihnen als höchst exzentrisch
bekannt; während einer vollen halben Stunde sah bloß der Zauberer in den
Souterrainräumen darin eine Gefahr, denn er fürchtete, daß sich die beiden
Kapaune an ihren Spießen und die Leberpastete im Backrohr in unmittelbarer
Gefahr befanden, und daß der Karamellzuckerguß, welcher über die Süßspeise Un
peu d'amour gegossen wurde, zu rasch verhärten könnte.
Letty, die
in den vergangenen Tagen ziemlich bedrückt gewesen war, trug eine neue,
außerordentlich elegante Balltoilette aus weißem Crêpe, so reich mit
Silberpailletten bestickt, daß die Wirkung wahrhaft blendend war, als sie im
Salon unter dem großen Kronleuchter stand. Nell, weniger auffallend in Satin
und zartgelbliche Spitzen gehüllt, wußte genau, daß Lady Chudleigh, falls sie
auf dem Maskenball anwesend war, ohne zu zögern, Lettys Toilette als für eine
junge Dame in ihrer ersten Saison völlig ungeeignet in Grund und Boden
verdammen würde, denn sie war wirklich unpassend tief dekolletiert und wurde
außerdem über die durchscheinendsten Unterröcke getragen. Cardross hätte
wahrscheinlich darauf bestanden, daß sie sich umkleiden und etwas Angemesseneres
anziehen müsse. Er hätte es vielleicht für selbstverständlich gehalten, daß
sich seine Frau in seiner Abwesenheit dieser Aufgabe unterziehen werde. Doch
Nell fühlte sich einem dermaßen anstrengenden und fast aussichtslosen Kampf
nicht gewachsen; sie beruhigte daher ihr Gewissen mit der Überlegung, daß die
Toilette zum größten Teil durch den Domino verborgen wurde, den Letty über die
Lehne ihres Sessels geworfen hatte. Letty selbst war von ihrer eigenen
Erscheinung dermaßen hingerissen, daß sie sich in sonnigster Stimmung befand,
welche Nell, die eine ganze Woche schlechter Laune und mürrischer Gesichter
hatte ertragen müssen, nicht mutwillig aufs Spiel setzen wollte.
«Das ärgste
an Brüdern ist, daß sie glauben, es hätte durchaus nichts auf sich, wenn sie
einen warten lassen», bemerkte Letty und öffnete ihren zu ihrer Toilette
passenden, mit Pailletten übersäten Fächer. «Ich hoffe nur, daß er, wenn er
endlich die Gnade hat, hier zu erscheinen, nicht angesäuselt ist. Schau mal,
findest du das hübsch?»
«Angesäuselt?
Warum sollte er angesäuselt sein?» fragte Nell ziemlich empört.
«Ach, du
weißt doch, wie die Männer sind, wenn sie losziehen, um einen Hahnenkampf
anzusehen», sagte Letty weltklug. «Ich glaube, heute war einer in Epsom.»
«Du lieber
Gott! Sagte er dir, er habe die Absicht hinzugehen?»
«Nein, aber
ich hörte, wie Hardwick mit Mr. Bottisham darüber sprach, und irgend etwas sagte,
ob Dysart ihn nicht in seinem Kabriolett mitnehmen könnte.»
«O Gott!»
rief Nell, ziemlich bestürzt über diese unwillkommene Neuigkeit. «Wenn das so
ist ... ich hoffe nur, er hat nicht vergessen, daß er uns heute abend nach
Chiswick begleiten soll.»
«Was? Du
willst damit doch nicht sagen, daß das möglich wäre?» rief Letty und ließ ihren
Fächer auf den Schoß sinken. «Nein, das wäre zu niederträchtig!»
Gewisse
düstere Erinnerungen schossen Nell durch den Kopf. «Ich hoffe bestimmt, daß es
nicht der Fall sein wird, aber er ... er vergißt manches Mal Verabredungen ...
besonders wenn er von ihnen nicht übertrieben entzückt ist», sagte sie.
Letty
beherrschte sich mit großer Mühe. Doch als nach Ablauf weiterer zehn Minuten
noch immer nichts von dem Viscount zu sehen war, vermochte sie sich nicht
länger zurückzuhalten und rief erbittert: «Selbst wenn er dein Bruder ist, Nell
... ich glaube nicht, daß er auch nur einen Augenblick daran dachte, mit uns zu
gehen ... er sagte es bloß, damit du ihn nicht länger quälst.»
«Nein,
nein, er hatte bestimmt die Absicht, denn als wir uns damals im Park trafen,
sagte er mir, er werde mich heute abend sehen. Außerdem ...
obwohl ich zugebe, daß er schrecklich sorglos ist, würde er mir doch niemals
einen so unschönen Streich spielen. Ich fragte mich schon, ob ich
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