Georgette Heyer
zähneklappernd. «Ich sterbe vor Angst und weiß bestimmt,
daß ich noch ohnmächtig werde! Was hat es für einen
Sinn, Lakaien mitzunehmen, wenn sie nichts tun, um uns zu beschützen? Ich werde
es Giles sagen, er muß sie unverzüglich davonjagen! Er müßte überhaupt bei uns
sein. Es ist nicht in Ordnung, nach Merion zu fahren, wenn er sich hätte denken
können ...»
«Bitte,
halte den Mund, Letty», unterbrach sie Nell aufgebracht. «Ich bin erstaunt, daß
du nicht genügend Stolz besitzt, um diese Elenden nicht
merken zu lassen, wie sehr du dich ängstigst! Und was die Lakaien
betrifft, was könnten die armen Kerle gegen bewaffnete Wegelagerer tun? Sie
haben doch keine Pistolen. Ich glaube auch nicht, daß sie sich's
je träumen ließen, wir könnten auf der Straße nach Chiswick überfallen werden. O
Gott, das klingt ja beinahe, als wären es ziemlich viele. Ich hoffe nur, daß
sie sich mit unserm Schmuck zufriedengeben werden und nicht auch noch den Wagen
nach einer etwaigen Stahlkassette durchsuchen.»
Bei diesem
abscheulichen Gedanken schüttelte sich Letty vor Entsetzen. Plötzlich schrie
sie laut auf, denn eine furchtbare Gestalt, in einen dunklen
Mantel gehüllt, eine Maske vor dem Gesicht, wurde sichtbar, riß den Wagenschlag
auf, richtete die Mündung einer ungeheuren Pistole auf die beiden Damen und
sagte in grimmigem Ton: «Heraus mit dem blitzenden Krimskrams! Aber etwas
plötzlich!»
Das
Mondlicht fiel hell auf den Pistolenlauf und auf die Hand, welche sie hielt.
Letty schrie entsetzt: «Nicht! Nicht!» und bemühte sich in fieberhafter Hast,
die Schließe ihrer einreihigen Perlenschnur zu öffnen.
«Sie
nicht!» sagte der Bandit noch grimmiger. «Sondern Sie!»
Die Pistole
zielte jetzt direkt auf Nell, doch anstatt zurückzuschrecken oder sich zu
beeilen – wie Letty sie mit zitternder Stimme beschwor –, ihre
Armbänder und Ringe und das große Pendant abzunehmen, das auf ihrem Busen
blitzte, blieb sie kerzengerade aufgerichtet sitzen und richtete den
fassungslosen Blick zuerst auf die Hand, welche die Pistole hielt, und dann auf
das maskierte Gesicht.
«Rasch!»
befahl der Straßenräuber in drohendem Ton. «Wenn Sie nicht wollen, daß ich
Ihnen eine Kugel durch den Leib jage!»
«Dysart!!»
«Hölle und
Teufel!» stieß Seine Lordschaft hervor und versuchte den Fehler hastig zu
vertuschen, indem er hinzufügte: «Lassen Sie das! Her mit dem Krimskrams!»
«Gib die
Pistole weg!» befahl Nell. «Wie kannst du es wagen, mich derart zu ängstigen!
Das ist wirklich unerhört ...! Das ist zu abscheulich von dir! Was in aller Welt
ist dir da eingefallen?»
«Wenn du
das nicht weißt, dann mußt du ein noch größerer Schafskopf sein, als ich
angenommen habe», sagte Seine Lordschaft angeekelt. Er
nahm seine Maske ab und rief über die Schulter: «Pech gehabt, Corny!»
«Da siehst
du es! Was hab ich dir gesagt?» rief Mr. Fancot, steckte seine Waffe ein, mit
der er den Kutscher im Schach gehalten, und ritt, sich höflich vor den Damen in
der Equipage verneigend, heran. «Du hättest die Sache mir überlassen sollen,
mein Junge! Ich sagte dir gleich, Mylady würde dich erkennen.»
«Nun, ich
verstehe wahrhaftig nicht, wie zum Teufel ihr das gelang», sagte der Viscount,
merklich aus der Fassung gebracht.
«Oh, Dy,
wie lächerlich du nur bist», rief Nell und versuchte nicht zu lachen. «Das
Mondlicht fiel auf den Ring, den dir Mama gab, als du großjährig wurdest. Und
dann sagtest du zu Letty < Sie nicht > . Da erkannte ich dich natürlich.»
«Dann
hättest du wenigstens soviel Verstand haben müssen, vorzugeben, mich nicht zu
erkennen», sagte der Viscount schroff. «Leichtsinnig war das, mein Mädchen,
äußerst leichtsinnig. He, Joe! Unnötig, die Burschen weiter im Schach zu
halten. Ich habe die Wette verloren.»
«Dysart, du
bist wahrhaftig ein abscheulicher Mensch», sagte Nell empört «Deinen Groom auch
noch in die Sache hineinzuziehen, geht wahrhaftig zu weit.»
«Blödsinn!»
sagte der Viscount. «Du könntest ebensogut sagen, es ginge zu weit, Corny
hineinzuziehen. Ich kenne Corny seit meiner Kindheit. Außerdem sagte ich ihm
doch, es handle sich um eine Wette.»
«Dennoch
erkläre ich, es geht zu weit, Mr. Fancot hineinzuziehen. Und ich nehme an, er
wird genauso denken», fügte Nell mit einiger Strenge hinzu.
«Nein,
nein, Madam, ich versichere Ihnen, bin immer glücklich, zu Diensten zu sein»,
sagte Mr. Fancot ritterlich. «Es war mir nur ein
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