Georgette Heyer
und saß wie auf Kohlen, ob Letty, ermutigt durch
die gute Laune ihres Bruders, nicht annehmen würde, der richtige Moment sei
gekommen, um das Thema ihrer Heirat aufs Tapet zu bringen. Das Dinner schien
sich endlos hinzuziehen, obwohl es in Wirklichkeit kürzer als gewöhnlich war,
da man Seine Lordschaft nicht erwartet hatte. Der Künstler im Souterrain hatte
nur Zeit gehabt, eiligst die bloße Travestie eines zweiten Ganges
zusammenzustellen, welcher der Suppe folgen sollte, bevor die Täubchen, die
Poulards ä la Duchesse, eine gegrillte Lammsbrust mit kleinen Gurken, Krabben
in einem Wachskörbchen und Käsecakes serviert wurden. Diese recht alltägliche
Mahlzeit war der Kritik des Haushofmeisters nicht entgangen; und Farley, der
einen Guerillakrieg mit dem französischen Beherrscher der Küche unterhielt,
prophezeite, Seine Lordschaft werde eine recht gepfefferte Botschaft herunterschicken.
Doch Seine Lordschaft machte keine Bemerkung. Und bei Mylady, obwohl sie die
meisten Speisen an sich vorbeigehen ließ und von den andern nur sehr wenig zu
sich nahm, schien diese Enthaltsamkeit eher auf Appetitlosigkeit
zurückzuführen zu sein als auf eine besondere Abneigung gegen die gereichten
Speisen.
Als man
sich von der Tafel erhob, fragte der Earl, welcher seine Frau im Laufe des
Mahles einige Male ziemlich scharf beobachtet hatte, ob sie sich auch ganz wohl
fühle.
Sie sagte
hastig: «Ja ... o ja. Ein wenig müde, doch das hat nichts zu bedeuten.»
Letty,
hilfsbereit einspringend, sagte, sie wären beide von all den Bällen und
Veranstaltungen ziemlich erschöpft. Als Cardross hierauf vorschlug, zu Hause zu
bleiben, anstatt ins Drury-Lane-Theater zu fahren, unterstützte sie diesen
Plan unverzüglich, indem sie Nell erinnerte, daß seit Monaten kein Stück
gespielt worden war, das des Ansehens wert gewesen sei. Sie für ihren Teil,
erklärte Letty, würde lieber zu Hause bleiben, um sich eines behaglichen
Plauderstündchens zu erfreuen. Doch da Nell genau wußte, daß sich dieses
behagliche Plauderstündchen blitzschnell zu einem außerordentlich unbehaglichen
Streit mit ihrem Bruder entwickeln würde, erklärte sie, sich sehr gewünscht zu
haben, gerade dieses Stück zu sehen. Cardross verbeugte sich sogleich zustimmend,
doch der weichere Ton seiner Stimme war verschwunden, und er sagte nur mit
höflicher Gleichgültigkeit: «Wie du befiehlst, meine Liebe.»
Das Stück
war weder besser noch schlechter als andere, welche dieses Jahr im Drury Lane
aufgeführt worden waren, und selbst Letty, die noch jung genug war, um sich
ungerecht behandelt zu fühlen, wenn sie das Theater vor dem endgültigen Fallen
des Vorhangs verlassen mußte, begrüßte Cardross' Vorschlag freudig, nicht
länger zu bleiben, um überdies noch die Posse anzusehen. London erlebte eben
einen Tiefstand des Theaters, denn mit Ausnahme eines gelegentlichen Auftretens
von Mrs. Siddons in einer Wohltätigkeitsvorstellung und dem Versprechen eines
neuen Melodramas von Charles Kemble, welches Ende des Monats unter dem
intrigierenden Titel The
Brazen Bust seine Premiere erleben sollte, stand
tatsächlich nichts in Aussicht, um selbst den eingefleischtesten
Theaterbesucher in eines der Theater zu locken. Das Haymarket-Theater war
geschlossen, da es vom Obersten Gerichtshof in Besitz genommen worden war, das
Surrey, am Südufer des Flusses, welches sich den burlettas verschrieben
hatte, war für Damen keineswegs schicklich, das Regency geriet rasch in
Verfall, und das Lyceum sowohl wie das Olympic inszenierten Schaustellungen,
die eher den Darbietungen des Zirkus Astley glichen. Die Freunde des
Schauspiels waren daher gezwungen, entweder zu Hause zu bleiben oder sich eine
Reihe mittelmäßiger Stücke anzusehen, welche im Drury Lane oder im Sans Pareil
gespielt wurden.
«Ich kann
mir nicht vorstellen, warum du den ausdrücklichen Wunsch hattest, dir ein so
dummes Stück anzusehen», sagte Letty in ihrer herzerfrischenden
Aufrichtigkeit, nachdem Cardross seine Damen auf den Grosvenor Square
zurückbegleitet und sich hierauf wieder entfernt hatte, um noch ein oder zwei
Stunden in White's Club zu verbringen. «Ich tat, was ich konnte, um dich davor
zu bewahren, denn ich sah dir an, daß du dafür nicht in Stimmung warst.»
«Ich
wünschte mir gar nicht, es zu sehen», erwiderte Nell ziemlich müde. «Ich sagte
es bloß, weil ich fürchtete, du würdest wieder damit beginnen, Giles wegen
deiner Heirat zu quälen, und da dachte ich mir, alles wäre besser
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