Georgette Heyer
als das ...»
«Wie
konntest du nur so albern sein?» fragte Letty erstaunt. «Was macht es dir
übrigens, wenn ich ihn quäle? Er würde dir doch nicht die Schuld geben.»
«Nein,
wahrscheinlich nicht ... außer du hättest mich mit in den Streit gezogen, was
du, da ich dich kenne, bestimmt getan hättest. Auf jeden Fall ertrage ich es
nicht, wenn du mich zwingst, dir zuzuhören, wie du Cardross so lange reizt, bis
er seine Laune verliert. Und das kann niemanden wundern, denn du mußt zugeben,
Letty, daß du dich, wenn du wütend bist, ihm gegenüber in der unschicklichsten
Weise ausdrückst.»
«Pah! Warum
sollte ich ihm nicht sagen, was mir paßt?» rief Letty zornig. «Schließlich ist
er nicht mein Vater. Ich möchte dir keinen Kummer bereiten, Nell, ich mache dich
aber aufmerksam, daß ich die Absicht habe, morgen vormittag, ehe er ausgeht,
mit ihm zu sprechen. Außerdem werde ich die Sache jedesmal, wenn ich ihn sehe,
neuerlich zur Sprache bringen, bis er nachgibt, was er bestimmt tun wird, denn
ich habe oft beobachtet, daß die Herren es aufs äußerste verabscheuen, ständig
gequält zu werden, und fast alles tun würden, um endlich wieder ihre Ruhe zu
bekommen.»
Nachdem
Nell mit diesem erfreulichen Programm bekanntgemacht worden war, gab sie ihrer
leidenschaftlichen und inbrünstigen Hoffnung Ausdruck, die Vorsehung möge es
für richtig finden, ihr während der Nacht eine Influenza zu schicken, die sie
zwingen würde, einige Tage das Zimmer zu hüten. Hierauf begab sie sich als
Beute einer Stimmung zu Bett, welche ihre Schwägerin unhöflich genug war, als
lächerlich trübsinnig zu bezeichnen.
Die
Vorsehung griff jedoch nicht ein und Nell erschien in weiser Voraussicht nicht
am Frühstückstisch. Da Sonntag war und sie das Frühstück vor der Morgenandacht
einzunehmen wünschte, wurde es früher als an den Wochentagen serviert: früh
genug jedenfalls, um Letty reichlich Zeit zu lassen, sich in ein einleitendes
Geplänkel zu stürzen.
Daß sie
diese Gelegenheit benutzt hatte, erfuhr Nell sehr bald. Sie saß eben vor ihrem
Toilettentisch, während Sutton ihre goldblonden Löckchen in der modernen Art
arrangierte, die man als Sappho-Stil kannte, als Letty atemlos, da sie in
höchtser Eile die Treppe heraufgestürmt war, mit blitzenden Augen und
brennenden Wangen ins Zimmer gestürzt kam. «Nell!» rief sie wütend.
Da Nell
genau wußte, daß Letty nichts daran hindern konnte, in Suttons Gegenwart die
Geschichte des ihr widerfahrenen Unbills hervorzusprudeln, entließ sie
sogleich ihre majestätische Kammerfrau. Wahrscheinlich würde sie das Ganze sehr
bald von Martha erfahren, da diese ergebene und kritiklose Kammerzofe das volle
Vertrauen ihrer Herrin genoß, aber das war nicht zu ändern. Wenigstens blieb
Nell die Verlegenheit ihrer Anwesenheit erspart, während Letty ihrem ersten
wütenden Zorn Zügel schießen ließ. Kaum hatte sich die Tür hinter Miss Sutton
geschlossen, als der Sturm auch schon losbrach. Während sie wütend im Zimmer
auf und ab lief, gab Letty ihrer Schwägerin einen anschaulichen und erbitterten
Bericht von dem, was sich im Frühstückszimmer abgespielt hatte. Das
einleitende Geplänkel hatte sich offenbar rasch in eine richtiggehende Attacke
verwandelt. Ebenso offenbar war es, daß Letty in allen Punkten geschlagen
worden war. Ihre Erzählung war mit einer heftigen Kritik an Cardross'
Charakter reichlich durchsetzt – grausam, gefühllos, tyrannisch und gehässig
waren die mildesten Epitheta, welcher sie sich bediente. Nach einem
vergeblichen Versuch, sie zu unterbrechen, gab es Nell auf und lauschte nur mit
halbem Ohr auf die verschiedenen Maßnahmen – die meisten waren glücklicherweise
undurchführbar –, zu welchen Letty, bereit war, ihre Zuflucht zu nehmen, wenn
Cardross auf seiner unnachgiebigen Haltung beharren sollte. Sie fragte sich
bloß, ob sie pünktlich zum Morgengottesdienst werde erscheinen können. Wenn
man Lettys überreizten Nervenzustand in Betracht zog, konnte es nicht
überraschen, daß ihre flammende Anklage in einer Tränenflut endete, die heftig
genug war, um Nells Besorgnis hervorzurufen, sie könnte einen hysterischen
Anfall erleiden. Diese Gefahr wurde teilweise durch Hirschhorngeist und
teilweise durch ihren gesunden Hausverstand abgewendet, und die unter der brüderlichen
Verfolgung schwer Leidende verfiel allmählich in ruhigeres Schluchzen. Nell war
es eben gelungen, sie zu beruhigen; sie badete ihre Schläfen mit Ungarischem
Wasser, als
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