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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lady April
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Nell!» sagte er.
    Damit war
er gegangen, ehe sie ein Wort zu sagen vermochte, und sie blieb mit dem fast
überwältigenden Wunsch zurück, sich nach Herzenslust auszuweinen. Es gelang
ihr, diesen Wunsch zu unterdrücken und Sutton in leidlicher Haltung zu
versichern, daß es ihr schon weit besser gehe und, um ihre gewohnte Gesundheit
zurückzuerlangen, nichts weiter brauchte, als etwa eine Stunde ungestört ruhen
zu können. Sie glaube, sogar ein wenig schlafen zu können, wenn niemand sie
stören würde. Das hätte ihr natürlich sehr gut getan, doch der Schlaf war ihr
nie ferner gewesen. Sie versuchte, sich für einen neuen Roman zu interessieren,
entdeckte jedoch, daß sie drei Seiten gelesen hatte, ohne den Sinn zu erfassen.
Jedes Gefährt, welches sich unten auf dem Platz näherte, ließ sie aufspringen
und zum Fenster eilen; und als sie zu ihrer Stickerei griff, fest entschlossen,
sich lieber damit zu beschäftigen, als, eine Beute qualvollster Betrachtungen,
im Zimmer auf und ab zu gehen, entdeckte sie, daß es ihr durch das heftige
Zittern ihrer Hände unmöglich war, auch nur einen Stich zu machen.
    Dysart
erschien nicht, und ihre Enttäuschung war so schwer, daß es ihrer ganzen
Energie bedurfte, um Cardross bei seiner Rückkehr mit ruhigem Gesicht zu
empfangen. Ihre strenge Erziehung kam ihr dabei sehr zustatten; niemand hätte
aus ihrem Benehmen schließen können, daß sich ihre Gedanken in hellem Aufruhr
befanden; und als Giles meinte, sie werde es bestimmt vorziehen, die
italienische Oper nicht zu besuchen, lachte sie seine Besorgnis hinweg und bat
ihren Gatten und ihre Schwägerin, nicht zu versuchen, sie in Watte zu wickeln.
    Am
folgenden Vormittag, knapp vor zwölf Uhr, trat, völlig unangemeldet, Dysart
bei ihr ein. Sie saß mit Letty im Salon und bemühte sich gerade, sie etwas zu
beruhigen, da sie der Besuch der Miss Berry ungemein aufgeregt hatte. Die gute
Dame hatte sie am frühen Vormittag besucht, um sich nach Nells Befinden zu
erkundigen, doch als Letty das Zimmer betrat, gelang es ihr, diese ohnedies
beleidigte junge Dame rasch in heftigen Zorn zu versetzen, indem sie sich mit
großem Eifer auf eine Erörterung ihrer Angelegenheiten einließ. Was sie sagte,
bewies zwar ihren ausgezeichneten gesunden Hausverstand und tat ihrem Herzen
ebensoviel Ehre wie ihrem Urteil, doch ihr ganzes Gehaben war entsetzlich
ungeschickt. Ihre Gewohnheit, ständig dasselbe Schlagwort zu wiederholen, mußte
jedermann erbittern. Dazu sprach sie stets in einer überhasteten und
übertriebenen Weise. Ihre Schmeicheleien und Beteuerungen ihrer Zuneigung, die
sie ständig auf den Lippen führte, um mehr Vertrauen zu erlangen, als man ihr
freiwillig zugestand, diente lediglich dazu, Lettys Starrsinn zu wecken. Miss
Berry hatte das Haus kaum verlassen, als Dysart eintraf, und als er in den
Salon geschlendert kam, war die ärgerliche Röte auf Lettys Wangen noch nicht
geschwunden.
    «Dysart!»
rief Nell und sprang von ihrem Sessel auf.
    «Hallo,
Nell», erwiderte er mit fröhlicher Ungezwungenheit. «Ich hoffte, dich zu Hause
anzutreffen.» Er sah Letty kritisch an und fragte auf brüderliche Weise:
    «Hat Ihnen
etwas die Laune verdorben?»
    «Wenn schon
nichts anderes, dann Ihr Anblick bestimmt!» erwiderte Letty schlagfertig, doch
mit einem beklagenswerten Mangel an Höflichkeit. «Liebste Nell, du hast
zweifellos den Wunsch, mit deinem abscheulichen Bruder allein zu sein. Da ich
mich lieber mit irgendeinem Bäckerjungen unterhalten würde als mit ihm, werde
ich mich in die Bibliothek setzen, bis er wieder fort ist.»
    «Verwünscht!
Hat man schon einmal so einen Sprühteufel gesehen», bemerkte, leicht
überrascht, der Viscount. «Was habe ich getan, daß Sie sich mir gegenüber so
hochfahrend benehmen?»
    Letty
würdigte ihn keiner Antwort, warf ihm bloß einen niederschmetternden Blick zu
und stürzte hockerhobenen Hauptes aus dem Zimmer. Er schloß die Tür hinter ihr
und sagte: «Viel zu hitzköpfig!»
    «Oh, Dy,
ich danke Gott, daß du endlich hier bist!» rief Nell mit unterdrückter
Erregung. «Ich war in so schrecklicher Sorge ... in so verzweifelter
Stimmung.»
    «Ach, du
lieber Himmel, du bist ja ebenso arg wie dieses törichte junge Ding», sagte
Dysart, griff in die Tasche und holte ein Banknotenbündel hervor. «Da hast du,
du dumme Gans! Versprach ich dir denn nicht, es diesmal nicht zu verpfuschen?»
    Sie nahm
die Banknoten nicht, ja sie schrak fast davor zurück und rief in vorwurfsvollem
Ton: «Wie

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