Georgette Heyer
Sie mich Ihnen
sagen: ich verzweifle nicht so bald!»
17
Nachdem der Unvergleichliche Miss Trent
verlassen hatte, gab es für sie nur einen Wunsch: ihr Zimmer zu erreichen, ehe
sie von Erregung übermannt wurde. Schluchzen drohte sie zu ersticken; Tränen,
die aus ihren Augen brachen, mußten schnell getrocknet werden; sie raubten ihr
die Sicht. Als sie sich zum Stiegengeländer getastet hatte und den Fuß auf die
erste Stufe setzte, kam Tiffany heruntergetrippelt. Ihre gute Laune war
wiedergekehrt, als sie erfuhr, daß Sir Waldo gekommen war, um sie zu besuchen.
«Oh, suchen
Sie mich? Totton brachte mir die Nachricht, Sie hätten sich nicht bemühen
müssen, liebste Ancilla. Ist er im grünen Salon? Ich habe eine herrliche Idee!
Da mich Mr. Calver so wunderbar kutschieren gelehrt hat, werde ich versuchen,
Sir Waldo zu überreden, mich seine Kastanienbraunen lenken zu lassen. Stellen
Sie sich diesen Triumph vor! Mr. Calver sagte, kein weibliches Wesen hatte
jemals Sir Waldos Rosse lenken dürfen!»
Es war
erstaunlich, wie schnell ihr die seit Jahren geübte Gewohnheit die Fassung
zurückgab. Miss Trent war krank von eigenem Leid, aber ihr Geist reagierte
automatisch. Sie hätte geglaubt, daß jeder Versuch zu sprechen von Tränen
erstickt werden würde, aber sie hörte ihre Stimme ohne Zittern sagen: «Er ist
schon fort. Er wollte nur wissen, ob wir schon Nachricht von den Verreisten
hätten. Er wollte nicht länger bleiben.»
«Wollte
nicht länger bleiben?» Tiffany schnitt eine alberne Grimasse. «Wo ich ihn doch
so dringend sehen wollte!»
«Ich nehme
an, er wäre geblieben, wenn er es gewußt hätte», sagte Ancilla friedfertig.
«Aber Sie haben es doch gewußt! Das ist häßlich von Ihnen! Ich glaube, Sie haben ihn
absichtlich weggeschickt, um mich zu ärgern», sagte Tiffany böse, aber ohne
innere Überzeugung. «Was soll ich jetzt tun?»
Miss Trent
zwang sich zur Beherrschung. Es hätte genug für ihre Schülerin zu tun gegeben:
eine sehr nötige Klavierstunde, ein Spaziergang mit Zeichenblock, eine
französische Konversationsstunde. Aber sie unterließ diese Vorschläge. Wußte
sie doch, daß solcherlei Zerstreuungen keine Gnade vor den Augen der jungen
Dame finden würden, die entschlossen war, jede Anregung abzuweisen. Zum Glück
kam eine Ablenkung, die Tiffanys aufsteigenden Zorn dämpfte: ein Wagen fuhr vor,
dem Lizzie Colebatch entstieg. Sie brachte eine Einladung, mit ihr und ihrer
Mama nach Harrogate zu fahren, wo Lady Colebatch ihren bevorzugten Arzt
aufsuchen wollte. Elizabeth, noch immer Tiffany freundschaftlich zugetan,
eröffnete ihr ein Programm, das Tiffany lockend erscheinen mußte. Außer dem
Besuch einiger teurer Geschäfte – die in der letzten Zeit aus dem
Boden geschossen waren – umfaßte es einen Spaziergang auf der Neuen Promenade
und einen Besuch von Hargroves Buchladen, zu dem eine der modernsten Teestuben
in ganz Harrogate gehörte. Das bedeutete für Tiffany, sich sofort anzukleiden
und ihren allerbesten Hut mit Bändern hervorzuholen, der, in einem Berg von
Seidenpapier verwahrt, in einer Schachtel auf einen großen Anlaß wartete.
Da die
Saison auf dem Höhepunkt war, konnte man mit Sicherheit annehmen, daß der
Streifzug zweier modisch gekleideter junger Damen – von denen die eine auffallend
rothaarig, die andere brünett und blendend schön war – genau jene Art von
Aufsehen erregen würde, wie es Tiffanys Tante Burford nicht wünschte. Da
aber Miss Trent wußte, daß Mrs. Underhill die Begleitung von Lady Colebatch als
Garantie für Sicherheit betrachten würde, fühlte sie sich nicht berufen, ihre
Zustimmung zu verweigern. Doch sie fühlte sich verpflichtet, Lady Colebatch zu
begrüßen. So sehr sie sich nach Alleinsein sehnte, ging sie hinaus, um die Dame
ins Haus zu bitten, während Tiffany sich in ihre feinste Toilette warf. Lady
Colebatch lehnte ab, bat aber Miss Trent, zu ihr in den Wagen zu steigen, um
ein bißchen zu plaudern. Miss Trent erfüllte diese Aufgabe mit mechanischer
Höflichkeit. Sowenig sie die Unterhaltung genoß, tat sie ihr doch gut; als
Tiffany und Elizabeth in den Wagen stiegen, waren ihre Nerven ruhiger geworden
und der Drang, sich das Herz aus dem Leib zu weinen, verflogen.
Auch ihr
abgewiesener Freier – obwohl keine Gefahr bestand, daß er einem hysterischen
Anfall erliegen würde – war froh, eine Pause des Alleinseins zu haben. Doch
kaum hatte er die Bibliothek in Broom Hall betreten, als sein junger Cousin
eintrat und fragte:
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