Georgette Heyer
Julians. Die
nächste halbe Stunde verbrachte er damit, Sir Waldo mit Miss Chartleys
zahlreichen Tugenden zu langweilen.
Schließlich
ging er. Aber ehe zehn Minuten um waren, wurde sein Platz von Laurence eingenommen.
Er kam herein, blieb unschlüssig an der Tür stehen und blickte fragend auf
seinen Cousin.
Sir Waldo
hatte an dem Schreibtisch Platz genommen, schien sich aber mit den vor ihm
liegenden Papieren nicht zu beschäftigen. Seine Hände lagen auf dem Schoß und
sein Blick schweifte in die Ferne. Sein Gesichtsausdruck war ungewöhnlich
streng und hellte sich auch nicht auf, als er den Kopf wandte und Laurence
erblickte. Der Ausdruck wurde eher härter.
«Nun?»
Wenn schon
sein Gehaben Laurence nicht zu verstehen gab, daß er den ungünstigsten Moment
gewählt hatte, hätte der kühle Ton des einen Wortes es tun müssen. Laurence
hielt noch die Türklinke in der Hand und bewegte sich rücklings hinaus. «Oh,
nichts – ich wollte – entschuldige – ich wußte nicht, daß du beschäftigt bist –
ein andermal.»
«Mach dir
keine falschen Hoffnungen – niemals!» sagte Sir Waldo scharf.
Unter
anderen Umständen hätte sich Laurence zu einer längeren Erklärung
herausgefordert gefühlt, aber diesmal wagte er nicht die kürzeste Antwort und
zog sich schnell zurück. Als er die Tür zwischen sich und seinem gefürchteten
Cousin geschlossen hatte, machte er sich mit einem erstaunten «Hui!» Luft. In
seiner Brust kämpfte Unmut mit Neugierde – die Neugierde gewann. Er blickte
noch eine Weile gedankenvoll nach der Tür, als könnte er Waldos Gesicht durch
das dicke Holz sehen. Sein unruhiger Geist konzentrierte sich auf das neue,
unerwartete Problem, das sich ihm aufdrängte.
Nach
einigem Überlegen kam er zu dem Schluß, daß der einzige Grund für Waldos noch
nicht dagewesenes Benehmen nur eine Enttäuschung in der Liebe sein könne. Daß
Waldo mit pekuniären Schwierigkeiten belastet wäre, wies Laurence als absurd
von sich; nach seinen Ansichten konnten nur Liebeskummer oder Geldsorgen eine
solche Wirkung haben. Auf den ersten Blick schien es lächerlich anzunehmen, daß
er von Miss Trent eine Abfuhr erhalten habe. Aber nach weiteren Erwägungen fand
er, daß nur das der Fall sein könnte. Mochte es noch so unwahrscheinlich sein,
daß ein weibliches Wesen in ihren Verhältnissen einen so wohlhabenden Bewerber
zurückweisen sollte, so war Miss Trent doch zweifellos ein sehr seltsames
Geschöpf. Und es gab keinen Zweifel – sie war so verliebt in ihn wie er in sie.
Am nächsten
Tag beim Frühstück trübte keine Falte mehr die klare Stirn Sir Waldos; er war
besonders guter Laune. Dann fuhr er – nachdem er Julian eine neckende
Bemerkung über die Schulter zugerufen hatte – aus; und wenn er auch sein Ziel
nicht verriet, hätte nur ein Einfaltspinsel bezweifelt, daß er Staples
zustrebte. Julian, der mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war,
wußte vielleicht nicht, daß Waldo seit einer Woche tagtäglich Staples besuchte,
aber sein viel schlauerer Cousin wußte es. Es sah ganz danach aus, daß Waldi
die bedeutsame Frage gestellt hatte und abgewiesen worden war. Aber warum?
Sosehr er
sich auch den Kopf zerbrach, konnte Laurence zu keiner zufriedenstellenden
Lösung des Rätsels kommen. Wäre ein anderer Mann im Spiel gewesen, hätte
Laurence vermutet, daß dieser Waldo bei Miss Trent angeschwärzt habe. Er hielt
sie für ziemlich prüde. Aber auch Waldo war zurückhaltend, und nicht einmal das
schändlichste Lügenmaul konnte etwas über ihn sagen, das eine Frau abgestoßen
hätte. War am Ende die Bohnenstange so dumm, eine Skandalgeschichte zu
glauben, die eine der eifersüchtigen Klatschbasen aus der Pfarrgemeinde
erfunden hatte?
Alles
schien so verworren, aber es mußte doch eine Erklärung geben, die zu finden der
Mühe wert war!
Sein erster
Plan, die Dankbarkeit seines großzügigen Cousins zu gewinnen,
war schiefgegangen; er brauchte nicht lange, um zu erkennen, daß seine Hilfe,
Julian von Miss Wield abzubringen, nicht nötig war. Aber es konnte doch sein,
daß in dieser neuen verzwickten Situation die gesuchte Gelegenheit lag. Wenn
nun – durch seine Vermittlung – die entzweiten Liebenden versöhnt würden, wäre
es nicht schwer zu erreichen, daß Waldo – kein Geizkragen, das mußte man ihm
lassen – seine Dankbarkeit in entsprechender Weise bekunden würde.
Das war es!
Laurence Stimmung – die schon sehr verdüstert war – hellte sich auf. Ärgerlich,
daß sein
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