Georgette Heyer
Stimmung während der ganzen Mahlzeit mit ihm.
Ein neuer
Retikül für Patience und Samtbänder, passend zu dem rosa Satin, mußten noch
gefunden werden. Als sie vom Tisch aufstanden, entschuldigte sich Sir Waldo und
ging, um seine Prüfung der Verwalter fortzusetzen. Aber Lindeth erklärte, ein
sehr gutes Auge für Farben zu besitzen, und bat, die Damen begleiten zu dürfen.
Da bei Tisch der Unvergleichliche sich ganz der Unterhaltung mit Tiffany
gewidmet hatte – Julian wunderte sich über das ungewöhnliche Verhalten seines Cousins –,
tat er sein Bestes, um seine beiden anderen Gäste zu unterhalten. Aber Miss
Trent machte sich, obwohl sie ihn dabei bestens unterstützte, Sorgen. Der leise
Verdacht, daß Lindeth Miss Chartleys Gefallen mächtig errege, hatte sie schon
ein- oder zweimal befallen und sich jetzt verstärkt. Des Rektors gut erzogene
Tochter benahm sich zwar so, wie es sich gehörte, aber das Leuchten ihrer
Augen, wenn sie sie zu Seiner Lordschaft erhob, schien Miss Trent zweifellos
zärtlich. Wie Mrs. Chartley fand sie, daß die beiden gut zueinander paßten. Zwar
wußte sie – wenn man den Chronisten und Dichtern glauben darf –, daß Liebe auf
den ersten Blick bei einem Manne nicht ungewöhnlich ist (bezeugt durch den
außergewöhnlichen Aufruhr der Gefühle, die der junge Montague erlebte, als
seine Augen zum erstenmal Miss Capulet erschauten), doch andererseits wußte sie
nicht, ob der Unvergleichliche Miss Chartley mit Billigung betrachten würde.
Sie zweifelte auch nicht daran, daß er, in diesem Fall, versuchen würde, eine
mögliche Werbung Julians im Keime zu ersticken. Diese Gewißheit, dachte sie,
sollte sie warnen, daß Sir Waldo ein skrupelloser Mensch war, vor dem sie sich
in acht nehmen sollte. Das Unglück war, daß sie sich eine solche Möglichkeit
nur in seiner Abwesenheit eingestand; doch wenn sich ihre Augen in einem Zimmer
trafen, war sie von seiner Rechtschaffenheit überzeugt.
Er fand
Gelegenheit, einige Worte mit ihr zu wechseln, als sie das King's Arms
verließen, und fragte sie plötzlich: «Werde ich Sie auf dem Ball bei den
Colebatchs sehen?»
«Ja, ich
bin eingeladen, und die liebe Mrs. Underhill sagt, ich dürfe gehen – besser
gesagt: sie besteht darauf.»
«En
Chaperon?»
«Nein, sie
geht selbst, für mich ist es ein freier Tag.»
«Dann werde
ich mir nicht die Augen nach Ihnen ausweinen müssen.»
Er wartete
ihre Antwort nicht ab und verabschiedete sich mit kurzem Händedruck.
Die nächste
Stunde verbrachten sie sehr angenehm in verschiedenen Läden, wo sie nicht nur
den Retikül und die zum Satin passenden Bänder fanden, sondern wo Tiffany auch
ein Paar Ohrgehänge aus Silberfiligran kaufte und Miss Trent ein Sträußchen
Kunstblumen, die zu ihrem einzigen Ballkleid paßten. Lindeth' Anwesenheit trug
viel zur Fröhlichkeit bei dem Unternehmen bei. Er nahm regen Anteil an den
Einkäufen, doch da er wenig von Damenmode verstand, machte er einige wunderbare
Schnitzer, die Heiterkeit erregten. Er fand auch einen Konditor, der Eis zum
Kauf anbot, und da den Damen heiß war und sie alle schon ein wenig müde waren,
hätte er keine Schwierigkeiten, sie zum Besuch des Ladens zu bewegen. Miss
Trent fand, daß sie noch selten einen so angenehmen Tag verbracht hatte.
Nach dem
Genuß von Zitroneneis verließen sie den Konditor und lenkten ihre Schritte nach
dem King's Arms. Die Straße war belebt und bot zuwenig Platz, um zu viert in
einer Reihe zu gehen. Die beiden Mädchen gingen also voran, die letzten
Modefragen eifrig diskutierend, Lindeth bot Miss Trent höflich seinen Arm. Ein
Gemälde, das in einem Schaufenster hing, zog seine Aufmerksamkeit an. Er sah,
daß es den Dripping Well darstellte, und machte Miss Trent aufmerksam. Aber
während sie es betrachteten, wurde die Harmonie des Tages plötzlich rauh
gestört. Es gab einen Auflauf und Rufe: Haltet den Dieb!, und als sie sich
rasch umsahen, bemerkten sie, daß ein in Lumpen gekleideter Knirps, einen Apfel
in der verkrampften Hand, auf sie zulief, den Ausdruck gejagten Schreckens in
den weitaufgerissenen Augen. Er zwängte sich zwischen den Menschen durch und
hatte beinahe Patience und Tiffany erreicht, als ein Bürger mittleren Alters
seinen Spazierstock zwischen die Beine des Flüchtenden warf, um ihn zu Fall zu
bringen. Ein harter Sturz war die unausbleibliche Folge; das Kind wollte
ausweichen, um dem übereifrigen Bürger zu entgehen, und fiel nach vorne, aber
nicht auf den Gehsteig, sondern auf das
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