Georgette Heyer
Erziehung werfen, nicht wahr!
Ich glaube, wir müssen uns darum nicht sorgen, sie tanzt sehr hübsch. Ich bin
natürlich nicht unparteiisch, aber nach meiner Meinung tanzt sie – mit Ausnahme
von Miss Trent – den Walzer besser als alle anderen Damen.»
«Ja»,
stimmte seine Gattin bei. «Aber Arthur Mickleby ist ein zu unbeholfener Partner
für sie.»
Da sie Mrs.
Underhill ganz allein sah, ging sie zu ihr, setzte sich an ihre Seite und
sagte: «Wie gefällt Ihnen der Walzer, Mrs. Underhill? Mein Gatte ist in
Verzückung und hält mich für sehr altmodisch, daß er mir nicht so gut gefällt
wie ihm.»
«Nun, ich
sähe mich ihn nicht gerne selber tanzen», sagte Mrs. Underhill. «Aber ich finde
den Anblick reizend, wie sich Sir Waldo und Miss Trent so elegant durch den
Raum drehen. Ich kann einfach nicht verstehen, wieso sie weiß, wann er in eine
andere Richtung tanzen will, und wann rundherum, denn man hat nicht den
Eindruck, daß er sie schiebt oder zieht. Das müßte er doch sicher, wenn er zum
Beispiel mich im Arm hielte.»
Mrs.
Chartley lächelte. «Sie tanzen wirklich sehr gut miteinander.»
«Nicht
wahr?» nickte Mrs. Underhill beifällig und mit Vergnügen. «Sie passen so gut
zusammen. Miss Trent ist groß, und beide sind so hübsch! Als sie heute abend
herunterkam, das Haar so gelegt, wie Sie es sehen, und das Kleid, das – wie sie
sagt – seit ihrem Aufenthalt im Hause des Generals in Lavendel gelegen ist (was
man ihm nicht ansieht), da sagte ich zu ihr: < Also, ich habe Sie meiner
Seel' noch nie so schön gesehen! > Und das ist wahr!» Und leiser fügte sie
hinzu: «Außerdem, Mrs. Chartley, ich war nicht die einzige, die platt war – o
nein! < Mit Ihnen oder mit keiner! > hat er gesagt, als sie ihn bat, mit
einer anderen Dame zu tanzen.»
«Sir Waldo?»
fragte Mrs. Chartley erstaunt.
«Sir
Waldo!» gab Mrs. Underhill mit sichtlicher Befriedigung zurück. «Aber wissen
Sie, für mich war es keine Überraschung. Ich mag eine Gans sein – wie Mr.
Underhill mir manchmal, natürlich im Scherz, sagte –, aber ich habe Augen im
Kopf, und Brillen brauche ich auch nicht! Und ich bin auch keine solche Gans zu
glauben, daß er meinetwegen so oft nach Staples kommt. Zuerst habe ich
geglaubt, daß es Tiffany sei, der er nachläuft, aber sie ist es nicht!
Natürlich flirtet er ein wenig mit ihr – das kann ich nicht leugnen –, aber das
ist nur Spielerei. Es ist Miss Trent, die ihn nach Staples zieht.»
Mrs.
Chartley war über so viel Vertrauen beunruhigt und sagte: «Daß er Miss Trent
vorzieht, ist mehr als verständlich. In gewissem Sinn
gehören sie derselben Welt an, der Londoner Welt, und zweifellos haben sie
gemeinsame Bekannte. Auch ist sie kein junges Mädchen mehr, sondern eine Frau
von fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig, sehr gebildet und an
gesellschaftlichen Verkehr gewöhnt, der mit den reiferen Jahren kommt. Sie hat
genug Verstand – aber wenn ein Mann von Sir Waldos Namen und Erfahrung einer
Dame den Hof macht ...»
«Lieber
Gott! Ma'am, wo denken Sie hin?» fiel Mrs. Underhill ein. «Es ist keine Ehe zur
linken Hand, die er im Sinne hat! Nicht mit ihr, wo doch ihr Onkel ein General
ist!»
«Nein,
gewiß, Sie mißverstehen mich! Ich wollte nur sagen, daß es unklug wäre, Miss
Trent zu falschen Hoffnungen zu ermuntern. Verzeihen Sie mir, Ma'am, aber ich
fürchte, Sie legen zuviel in einen bloßen Flirt hinein!»
Mrs.
Underhill lächelte nachsichtig. «Ei nun, wer länger lebt, sieht mehr!»
prophezeite sie.
12
Mit denselben gemischten Gefühlen, mit
denen Ancilla dem Ball entgegengesehen hatte, blickte sie auf ihn zurück. Als sie
Lady Colebatch' Einladung zu dem Ball angenommen hatte, geschah es mit
Mißbehagen. Sie glaubte mit einem leisen Schuldgefühl, daß sie damit gegen die
Grundsätze verstieße, die sie sich zurechtgelegt hatte, als sie ihre Sphäre
freiwillig verließ, um Schullehrerin zu werden.
Sie hatte
sich zu diesem Entschluß hart durchgerungen. Wenngleich ihre Familie nicht
begütert war, genoß sie doch Ansehen, und Ancilla war ihr Leben lang gewöhnt,
sich in den ersten Kreisen von Hertfordshire zu bewegen. Der Tod ihres Vaters,
im Verein mit mißglückten Spekulationen, ließ die Familie zwar nicht in
Dürftigkeit, aber in ungemütlich gespannten Verhältnissen zurück. Zweifellos
meinten alle, die die Familie kannten, Ancilla müsse ihrem älteren Bruder die
Last, einen geeigneten Ehepartner für sie' zu finden, abnehmen. Die allgemeine
Meinung war, daß
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