Georgette Heyer
ihr Fall nicht hoffnungslos sein müßte, obwohl sie bereits
vierundzwanzig Jahre alt und vermögenslos war. Sie sah sehr hübsch aus und
hatte eine Würde, die Aufsehen erregte; sie war gebildet; sie hatte eine
reizende Art; obwohl nicht lebhaft, hatte sie einen wachen Sinn und Humor; wenn
sie auch viel Zurückhaltung zeigte und ihre Art oft kalt wirkte, so machten sie
doch ihre ausgezeichneten Manieren in jeder Gesellschaft beliebt.
Wie schade,
daß sie keinen ihrer Bewunderer genügend liebte, um eine Werbung zu ermutigen!
Doch es bestand die Hoffnung, daß sie – seit vier Jahren in die Gesellschaft
eingeführt und in Gefahr, eine alte Jungfer zu werden – eine ehrenwerte Werbung
nicht zurückweisen werde.
Diese
Hoffnung hatte auch ihre Tante, als sie sie auf eine ganze Saison nach London
einlud. Lady Trent, die sehr an ihr hing, tat, was sie konnte. Sie führte sie
in die große Gesellschaft ein, nahm sie zu Almacks mit und stellte sie sogar
der Königin vor. Aber der erhoffte Erfolg blieb aus. Ancilla wollte ohne Liebe
nicht heiraten, und ehe sie dem Unvergleichlichen begegnet war, hatte ihr Herz
nicht das kleinste Flackern verspürt.
Ohne
Heiratsabsicht und entschlossen, weder ihrem Bruder auf der Tasche zu liegen
noch sich an den Onkel zu heften, fällte sie, gegen den Willen ihrer Familie,
die schwere Entscheidung. Sie war sich wohl bewußt, daß sie als gewissenhafte
Schullehrerin der Welt entsagen müsse. Es wurde ihr eine harte Verpflichtung,
aber sie sah keinen Ausweg. Und als ihr die Anstellung bei Miss Climping
angeboten wurde, ließ sie das gesellschaftliche Leben, an dem sie hing, hinter
sich und wurde Gouvernante.
Sie hatte
Glück und konnte ihre Stellung in Bath gegen die kochbezahlte, mit vielen
Vorteilen ausgestattete Position, die sie jetzt innehatte, eintauschen. Sie
erkannte bald, daß diese Stellung angenehmer war, als sie je erhoffen konnte.
Aber trotz der wiederholten Aufforderung, sich doch als zur Familie gehörig zu
betrachten, hielten ihr Takt und Anstandsgefühl sie davon ab, die unsichtbare
Linie zu überschreiten, die sie sich selbst gezogen hatte. Ihr Platz war im
Hintergrund, in der Bereitschaft, einzuspringen, nie drängte sie sich vor. Wenn
Mrs. Underhill sich nicht wohl fühlte, war sie gerne bereit, Tiffany zu einer
Party zu begleiten, wo sie den Platz unter den Anstandsdamen einnahm. Wenn
aber eine Einladung an sie erging – was zuweilen der Fall war –, blieb sie
standhaft und lehnte ab.
So spielte
sich ihr Leben bis zur Ankunft des Unvergleichlichen ab. Zwei Wochen nach ihrer
ersten Begegnung – oder war es eine Minute danach? – war ihre Ruhe dahin, ihre
Energie untergraben, ihr Wohlbefinden zerstört. Sie hatte sich immer für eine
vernünftige Frau gehalten, mit klarem Verstand und ausgeglichenem Wesen; doch
seit seiner Ankunft in Yorkshire taumelte sie von atemlosem Glück in Zweifel
und Verzagtheit. Ihr Herz und ihr Verstand, die bis jetzt nie in entgegengesetzte
Richtungen liefen, schienen jetzt immer in Konflikt miteinander zu sein. Der
Verstand mahnte sie zur Vorsicht, das Herz drängte sie, Vorsicht und
Verschwiegenheit in den Wind zu schlagen.
Ihr
Verstand litt unter der Einladung zum Colebatch-Ball auf das heftigste. Die
korrekte Miss Trent, die ihre Liebe zum Tanz schon lange überwunden glaubte,
wünschte nichts sehnlicher, als den Ball zu besuchen. Nur dieses eine Mal!
feilschte sie mit sich selbst. Was kann daran Schlechtes sein, wenn Mrs.
Underhill darauf drängt, daß ich annehme? Ich bin doch zu vernünftig, um den
Kopf zu verlieren! Der harte Verstand aber war zu keinem Kompromiß bereit. Du
bist ja von Sinnen! Du willst auf diesen Ball gehen, weil Sir Waldo dort sein
wird, und wenn du nur einen Funken Verstand hättest, würdest du ihn abweisen,
ehe dein Friede vollends zerstört ist!
Das Herz
blieb siegreich. Sie ging zu dem Ball mit der Absicht äußerster Reserve. Aber
schon als sie ihr Haar in die Form gelegt hatte, wie sie es vor ihrer
Gouvernantenzeit trug, entfloh die Vorsicht. Sie fühlte sich wieder jung, fast
unbekümmert, wie ein Mädchen, das auf den ersten Ball geht.
Das
Unbekümmertsein wuchs, ermutigt durch den Lichterglanz, durch Lachen und Musik.
Ihr Verstand hielt noch Wache, als Sir Waldo sie um den ersten Walzer bat – sie
lehnte ab, dachte aber: Keinen anderen lehne ich mehr ab! Eine wunderbare
Glückseligkeit ergriff sie, als sie von dem Mann ihrer Träume aufgefordert
wurde. Und als er sie zum zweitenmal aufforderte,
Weitere Kostenlose Bücher