Georgette Heyer
schien ihm sehr interessant und eröffnete verschiedene Möglichkeiten. Das
Mädchen war kühn und aufsehenerregend, aber nichts für Julian. Wal- do mußte
das wissen. Was tat er, um diese schockierende Verbindung zu verhindern? Oder
war er bereit, einzugreifen? Wäre er in diesem Fall dankbar, wenn sein Cousin
Laurie sich einschalten würde? Ja, dachte Laurence: Wenn die Sache ernst war,
würde er es tun. Es wäre amüsant und durchaus nicht schwer; die Schöne hatte
bereits unmißverständliche Blicke nach ihm geworfen, und er war bereit, darauf
einzugehen. Zweifellos wollte sie sich Lindeth ergattern, und zweifellos wollte
sie ihn auch zum Äußersten treiben, indem sie ihn wild vor Eifersucht machte.
Wahrscheinlich würde es ihr gelingen, ihn eifersüchtig zu machen – auch das
wäre interessant. Aber wenn sie glaubte, Lindeth durch wildes Flirten mit einem
anderen Mann dazu zu bringen, die große Frage zu stellen, dann war sie so dumm,
wie sie schön war. Und viel zu gewöhnlich für Julian.
Das alles
war ein amüsantes Liebesspiel. Er entdeckte auch mit Befriedigung, was Waldo in
diesem gottverlassenen Nest festhielt: ein neuer Flirt! Es paßte nicht zu ihm,
ein weibliches Wesen, das offensichtlich eine Art Gouvernante war, zum
Gegenstand seiner Courschneiderei zu machen, aber ganz junge Mädchen waren nie
sein Geschmack gewesen. Und außerdem schienen die meisten Damen der
Nachbarschaft zimperlich zu sein, wie Lady Colebatch, oder richtige
Unruhestifterinnen wie Mrs. Banningham und die Gattin des Gutsherrn.
Wenn er
Miss Trent kritisch betrachtete, zweifelte er, daß sie ein geeigneter Flirt
wäre, nicht gerade au fait de beauté und – für seinen Geschmack – zu
sehr eine Hopfenstange; aber eine vornehm aussehende Dame. Keine
Schaumschlägerin! Wenn Waldo nicht auf der Hut wäre, fände er sich eines Tages
festgenagelt. Und welcher Goldfisch wäre das in ihrem Netz! Der Letzte aus dem
Stamm der Hawkridge an eine unbedeutende Person gekettet, die ihr Brot damit
verdiente, Landkinder im Schreiben, Buchstabieren, Mustertüchersticken zu
unterrichten. Eine verteufelt komische Geschichte! Aber es war so ungewöhnlich
von Waldo, falsche Hoffnungen zu erwecken. Alle seine Flirts – wenn man darüber
nachdachte – waren verheiratete Damen der Gesellschaft gewesen, ohne viel
Risiko, und Waldo behandelte Mädchen, die auf Männerfang ausgingen, nach
seinen sehr altmodischen Ideen. Um so seltsamer, daß er nicht bemerkt haben
sollte, wie liebestoll die Hopfenstange war?!
Von der
Witterung dieses wirklich saftigen on-dit erregt, suchte Laurence von
seinem jüngeren Cousin Auskunft zu erhalten, und sagte so nebenbei: «Du hast
mir gar nicht gesagt, daß Waldo einen neuen Flirt hat. Wer ist sie?»
Julian
blickte ihn erstaunt an. «Waldo? Einen neuen Flirt?»
«Spiele nur
nicht den Ahnungslosen!» sagte Laurence gedehnt. «Dieses lange Weibsstück –
irgend jemandes Gouvernante, nehme ich an. Herrgott, Julian, hältst du mich für
einen Idioten?»
«Miss
Trent? Guter Gott, was noch? Ein neuer Flirt? Wahrhaftig, sie ist die
Gesellschafterin von Miss Wield, eine sehr angenehme Dame, aber daß sie Waldos
Flirt wäre –? Du solltest ihn besser kennen!»
«Kein Grund
zur Aufregung! Ich weiß nur, daß sie durch ihr Benehmen alle Klatschbasen in
Aufruhr brachte.»
«Das glaube
ich gerne. Die leben ja vom Skandalsüppchen-Kochen! «Aber wer ist sie?»
forschte Laurence weiter. «Oder ist das eine der Fragen, die
man nicht stellen darf?»
«Nicht im
geringsten. Du kennst wahrscheinlich ihren Cousin Bernard Trent. Ihr Vater
fiel bei Cuidad Rodrigo und hinterließ die Familie in zerrütteten
Verhältnissen. Ihr Onkel ist General Trent.»
«Wirklich?»
sagte Laurence, und seine Augen weiteten sich.
Er fragte
nicht weiter. Waldo sollte nicht glauben, er mische sich in seine
Angelegenheiten, und Julian war eine solche Klatschbase, daß man nie wußte, was
er in seiner arglosen Art ausposaunen werde. Übrigens schien Julian wirklich
nicht mehr zu wissen. Was er sagte, genügte, der Sache einen neuen Anstrich zu
geben: Waldo wollte sich offenbar lebenslänglich binden. Eigentlich nichts
Außergewöhnliches; eines Tags mußte er ja heiraten. Verwunderlich war nur, daß
er, der aus der Creme der Gesellschaft wählen könnte, bloß eine Miss Trent
nahm, die zwar der Herkunft nach passend, aber sonst unbekannt, ohne Titel,
ohne Vermögen, ohne außergewöhnliche Schönheit war. Herrgott, welch eine
Sensation! Laurence
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