Georgette Heyer
und ließ seinen
Blick in die Runde schweifen. «Wie mich dies betrübt! Zweifellos
halten Sie ihn für derlei Vergnügungen für zu jung? Er ist erst neunzehn,
glaube ich?»
Saint-Vire
legte seine Karten auf den Tisch und blickte verärgert in das hübsche
und rätselhafte Antlitz seines Gegenübers.
«Sie
bezeigen großes Interesse für meinen Sohn, Monsieur le Duc!»
Die
haselnußbraunen Augen weiteten sich einen Atemzug lang und verengten
sich dann wieder.
«Wie könnte
es anders sein?» fragte der Herzog höflich zurück.
Saint-Vire
nahm seine Karten wieder auf.
«Er ist mit
seiner Mutter in Versailles», sagte er kurz. «Habe ich auszuspielen,
Lavoulère?»
3
EINE UNBEGLICHENE RECHNUNG
Als Davenant in das Haus in der Rue
St.-Honoré zurückkehrte, entdeckte er, daß Seine Gnaden sich noch nicht
eingefunden hatte, obgleich Léon schon seit langem da war und im Bett lag. Hugh
nahm an, daß Avon von Vassaud zu seiner letzten Herzensdame gegangen war, und
zog sich in die Bibliothek zurück, um ihn dort zu erwarten. Bald darauf
schlenderte der Herzog herein, schenkte sich ein Glas mit Canary-Wein voll und
trat an den Kamin.
«Ein
äußerst instruktiver Abend. Hoffentlich hat sich mein inniggeliebter Freund
Saint-Vire bald vom Schmerz erholt, den mein früher Aufbruch ihm verursacht
haben muß?»
«Hoffentlich»,
lächelte Hugh. Er lehnte sein Haupt an die Polsterung des Lehnstuhls und
blickte den Herzog einigermaßen verwirrt an. «Warum haßt ihr einander so,
Justin?»
Die geraden
Brauen hoben sich.
«Hassen?
Ich und hassen? Mein lieber Hugh!»
«Na schön,
wenn's dir lieber ist, will ich es so formulieren: warum haßt Saint-Vire dich
so?»
«Das ist
eine uralte Geschichte, Hugh, eine fast vergessene Geschichte. Das – äh – contretemps zwischen dem liebenswürdigen Grafen und mir fand in jenen Tagen statt, da
ich noch nicht den Vorzug deiner Freundschaft hatte, weißt du.»
«Es gab
also ein contretemps? Wahrscheinlich hast du dich wieder einmal
abscheulich benommen?»
«Was ich an
dir so sehr bewundere, mein Lieber, ist deine charmante Unverblümtheit»,
bemerkte Seine Gnaden. «Aber in jenem Fall benahm ich mich nicht abscheulich.
Erstaunlich, nicht wahr?»
«Was
geschah denn?»
«Sehr
wenig. Eine ganz triviale Angelegenheit. So trivial, daß fast jedermann sie
vergaß.»
«Eine Frau
steckt dahinter, natürlich?»
«Eben.
Keine geringere Person als die gegenwärtige Herzogin de Belcour.»
«Die
Herzogin de Belcour?» Hugh hatte sich vor Überraschung kerzengerade
aufgerichtet. «Saint-Vires Schwester? Diese rothaarige Hexe?»
«Ja, diese
rothaarige Hexe. Soviel ich mich erinnern kann, bewunderte ich ihren – äh –
Hexenzauber vor zwanzig Jahren. Sie war in der Tat anziehend.»
«Vor
zwanzig Jahren! So lange schon! Justin, du wolltest sie doch nicht ...»
«Ich wollte
sie heiraten», sagte Avon nachdenklich. «Ich war sehr jung und dumm. Heute erscheint's
mir unglaublich; und doch war's so. Ich hielt bei ihrem würdigen Vater – ist es
nicht zum Lachen? – um ihre Hand an.» Er hielt inne und starrte ins Feuer. «Ich
war damals, wenn ich mich recht entsinne, zwanzig Jahre alt oder ein bißchen
drüber – ich hab's vergessen. Mein Vater und der ihre standen nicht zum besten
– auch hier steckte eine Frau dahinter; ich glaube, mein Erzeuger trug den Sieg
und die Beute davon. Diese Wunde wird wohl weiter geeitert haben. Und schon
damals, mein Lieber, standen bei mir leichtfertige Liebesabenteuer auf der
Tagesordnung.» Seine Schultern erbebten vor Lachen. «Die sind bei uns gang und
gäbe. Der alte Graf versagte mir die Hand seiner Tochter. Nicht ganz
unverständlich, findest du? Nein, ich entführte sie nicht. Statt dessen erhielt
ich einen Besuch Saint-Vires. Damals war er noch Vicomte de Valmé. Dieser
Besuch war äußerst demütigend.» Grimmige Linien gruben sich um Justins Mund
ein. «Äußerst demütigend.»
«Für dich?»
Avon
lächelte.
«Für mich.
Der edle Henri betrat mein Logis mit einer großen und schweren Reitpeitsche.»
Er blickte zu Boden, als Hugh nach Atem rang, und sein Lächeln verstärkte sich.
«Nein, mein Lieber, ich wurde nicht verdroschen. Kurz und gut: Henri war
wütend; irgend etwas stand zwischen uns, vielleicht eine Frau – ich hab's
vergessen. Er tobte vor Zorn. Eigentlich sollte mir das einige Genugtuung
bereiten. Ich hatte gewagt, meine verworfenen Augen zu der Tochter der überaus
sittenstrengen Familie Saint-Vire zu erheben. Ist dir diese
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