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Gequält

Gequält

Titel: Gequält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Koppel
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mehr. Er suchte die Telefonnummer der Schule heraus, die Kent besucht hatte. Eine nicht mehr ganz junge Frauenstimme antwortete heiser.
    »Aha, Journalist, sagen Sie? Ach, Gottchen. Was habe ich denn jetzt schon wieder angestellt?«
    »Nichts. Ich arbeite an einer Artikelserie über Menschen, die zu früh aus dem Leben gerissen wurden. Ende des Spiels , heißt sie. Kürzlich habe ich mich mit einer Frau aus Höganäs unterhalten, deren Sohn vor fünfzehn Jahren bei einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht ums Leben kam.«
    »Aha.«
    »Ich würde gerne ein paar Worte mit einem der Lehrer des Jungen wechseln. Mit jemandem, der sich an ihn erinnert und mir ein wenig erzählen kann, wie er so war.«
    »Vor fünfzehn Jahren, sagen Sie? Damals habe ich noch nicht hier gearbeitet. In welchem Jahr soll das gewesen sein? 97? Sie wissen nicht, in welche Klasse er ging?«
    »In die siebte.«
    »Siebte«, wiederholte die Sekretärin. »Und wie hieß er noch gleich?«
    »Kent Svensson.«
    »Kent Svensson. Wenn Sie einen Augenblick warten, schaue ich nach. Nur einen kleinen Moment.«
    Calle hörte, wie sich die Frau mühsam von ihrem Stuhl erhob und dabei angestrengt atmete. Er sah es geradezu vor sich, wie sie die Lesebrille aufsetzte, die an einer Schnur um ihren Hals hing, leise die Beschriftungen der Ordner vor sich hin murmelte und mit dem Zeigefinger über die Rücken fuhr. Sie zog einen Ordner heraus, nahm schwer atmend wieder Platz und griff zum Hörer.
    »Hallo«, sagte sie mit heiserer Stimme.
    »Ich bin noch dran«, sagte Calle.
    »Sie sagten ’97, nicht wahr?«
    »Das müsste stimmen. Siebte Klasse.«
    »Siebte Klasse. Mal sehen  … «, meinte die Sekretärin und blätterte. »Wie hieß er gleich wieder?«
    »Kent«, antwortete Calle. »Kent Svensson.«
    »Stimmt, den gibt es hier. War das nicht der Bursche, der überfahren wurde?«
    »Doch.«
    »Davon habe ich gehört. Ich erinnere mich allerdings an keine Details. Aber der Name der Lehrerin sagt mir nichts. Sie sieht auf dem Klassenfoto recht alt aus, ist also vermutlich in Rente.«
    »Wie heißt sie?«
    »Mal sehen  … Selma Sellin. Doch, den Namen habe ich schon mal gehört, ganz sicher. Sogar mehrmals. Ein richtiges Original, wenn ich es recht verstanden habe.«
    Calle gab den Namen in seinen Computer ein, um die Adresse der Lehrerin ausfindig zu machen.
    »Ich kann keine Selma Sellin finden«, sagte er. »Wissen Sie, ob sie verheiratet ist?«
    »Keinen blassen Schimmer.«
    Calle löschte das Selma aus dem Eingabefeld und fand einen Magnus Sellin in Lerberget.
    »Könnte das der Ehemann sein?«, wollte er wissen.
    »Keine Ahnung«, antwortete die Sekretärin. »Versuchen Sie es halt. Lehrer stehen in der Regel nicht im Telefonbuch. Weder Lehrer noch Ärzte.«
    »Ja, so ist das wohl«, meinte Calle. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
    »Keine Ursache«, erwiderte die Sekretärin.
    Calle legte auf und wählte Magnus Sellins Nummer.
    »Selma Sellin«, meldete sich eine Stimme am anderen Ende mit solchem Nachdruck, dass Calle Habachthaltung annahm.
    »Hallo, ich heiße Calle Collin und arbeite als Journalist. Ich  … «
    »Worum geht es?«
    Calle blinzelte nervös.
    »Ich hätte gerne gewusst, ob Sie die Selma Sellin sind, die als Lehrerin in der Kulla-Schule tätig war.«
    Tätig war statt gearbeitet hat. Wieso ließ er sich von einer alten Frau am anderen Ende der Leitung nur so einschüchtern?
    »Worum geht es?«, wiederholte Selma Sellin.
    »Also, ich arbeite als Journalist  … «
    »Das haben Sie bereits gesagt.«
    »Ja, Entschuldigung. Ich schreibe eine Artikelserie über Menschen, die zu früh aus dem Leben gerissen wurden.«
    »Was Sie nicht sagen«, erwiderte Selma.
    »Für das Familienjournal «, fügte Calle noch hinzu, als sei das von Belang.
    Selma wartete ab.
    »Ich habe Margit Svensson in Höganäs interviewt. Ihr Sohn Kent starb vor etlichen Jahren bei einem Autounfall. Ich habe in der Kulla-Schule angerufen, um mehr darüber zu erfahren und vielleicht auch mit jemandem zu sprechen, der sich an ihn erinnert. Wenn ich mich nicht irre, waren Sie seine Klassenlehrerin?«
    »Jetzt kommen Sie endlich auf den Punkt.«
    »Ja, Entschuldigung.«
    »Und entschuldigen Sie sich nicht dauernd.«
    »Nein, natürlich. Ich  … «
    »Sie wollten wissen, ob ich mich an Kent erinnere?«
    Calle erwog, sich zu setzen, hielt es dann aber für das Klügste, stehen zu bleiben.
    »Ich erinnere mich an Kent«, sagte Selma und beantwortete damit ihre eigene

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