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Gequält

Gequält

Titel: Gequält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Koppel
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das nette Gespräch und bat sie, den beigefügten Artikel zu lesen. Anschließend rief er sie sicherheitshalber an, weil er das Gefühl hatte, dass Margit Svensson ihre Mails nicht täglich las. Er erreichte nur ihren AB.
    »Hallo, Margit. Hier ist Calle Collin. Danke, dass ich vorbeikommen durfte. Das war sehr nett. Höganäs ist wirklich eine wunderbare Stadt. Ich wollte nur mitteilen, dass ich Ihnen jetzt den Text gemailt habe. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihn lesen und sich dann dazu äußern könnten. Es schleichen sich immer mal Fehler ein. Lesen Sie also bitte den Text und schicken Sie mir dann eine Mail oder rufen Sie mich an, falls Sie etwas ändern wollen. Okay. Gut.«
    Er wollte gerade auflegen, als ihm in den Sinn kam, dass er vielleicht etwas kurz angebunden geklungen hatte. Nach unzähligen Telefonaten mit der Redaktion in Helsingborg wusste Calle, dass Stockholmer als geschäftsmäßig und unpersönlich galten, kurz gesagt als versnobt. Ein bisschen Small Talk konnte nicht schaden.
    »Übrigens«, sagte er dann, »soll ich von Familie Malmberg grüßen. Ihr Sohn Anders ist in Kents Klasse gegangen und arbeitet inzwischen als Journalist. Ich dachte, dass Sie sich vielleicht an ihn erinnern. Das war’s.
    Alles Gute. Ciao.«
    Er legte auf und betrachtete das Telefon. War er zu weit gegangen? Hielt sie das mit dem Gruß von Malmbergs womöglich für Ironie? Laut der Lehrerin, mit der er sich unterhalten hatte, waren Kent und Anders nicht gerade beste Freunde gewesen.
    Egal, das war fünfzehn Jahre her.
    Margit stand in der Diele und starrte den Telefonhörer an. Sie wusste nicht, welchen Knopf sie drücken musste, um sich die Nachricht ein weiteres Mal anhören zu können. Calle Collin hatte so schnell gesprochen, dass sie nicht alles verstanden hatte. Ein Freund von Kent? Irgendein Anders? Sie kannte keinen Anders. Aber das bestätigte doch nur, was sie die vergangenen fünfzehn Jahre lang gedacht hatte. Kent lebte in der Erinnerung vieler Menschen weiter. Menschen, die Margit nicht einmal kannte, erinnerten sich an Kent. Er hatte Spuren hinterlassen. Margit wurde warm ums Herz. Sie spürte, dass es Zeit für eine Tasse Kaffee war.
    Sie zog ihren Mantel aus, ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Hatte der Journalist den Text geschickt? Sie ging ins Schlafzimmer, schaltete den Computer ein und öffnete ihre Mailbox. Sie las seine Nachricht und klickte auf den Anhang.
    Ein Dokument wurde geöffnet.
    Sie las den Text zwei Mal. Anschließend las sie ihren Lieblingsabsatz ein drittes Mal.
    Als sie fertig war, merkte sie, dass sie weinte. Sie wusste nicht, wie dieser Reporter das angestellt hatte, aber irgendwie hatte er alles, was Kent ausmachte, auf den Punkt gebracht. Seine Lebensfreude, seine zupackende Art, seine Furchtlosigkeit, seine Ideen und seinen Stolz. Wie er seinen kleinen Bruder in der Schule stets beschützt hatte, obwohl sie sich zu Hause ständig stritten, wie es so die Art von Brüdern ist. Aber Matte hatte erzählt, dass ihn Kent in der Schule immer verteidigt hatte. Margit nickte nachdenklich. Blut ist eben doch dicker als Wasser, dachte sie.
    Sie ging in die Küche, schenkte sich Kaffee in ihre Lieblingstasse, setzte sich auf ihren angestammten Platz, trank wie immer vorsichtig nippend und schaute dabei aus dem Fenster. Sie war zufrieden, hochzufrieden.
    Margit dachte an ihre Arbeitskollegin Katta. Sie waren die einzigen Frauen in der Produktion und arbeiteten oft an derselben Maschine. Sie waren nicht nur die einzigen Frauen, sie waren im Großen und Ganzen auch die einzigen Schwedinnen, die Chefs einmal ausgenommen. In der Produktion arbeiteten überwiegend Einwanderer. Es wäre naheliegend gewesen, sich mit Katta zu verbünden. Das Problem war nur, dass sich Katta für etwas Besseres hielt. Sie versäumte keine Gelegenheit, vom Sommerhaus ihrer Mutter in Torekov zu erzählen. Es verging kaum eine Woche, ohne dass ihr Katta mit Torekov in den Ohren lag und allen reichen Stockholmern, die sie kannte. Endlich wusste Margit, wie sie ihre Kollegin zum Schweigen bringen konnte. Sobald die Illustrierte erschien, würde sie Katta den Artikel zeigen. Katta selbst hatte ihren Namen vermutlich noch nie in einer Zeitschrift gelesen.
    Margit trank die Tasse aus, ging ins Schlafzimmer und las den Text ein viertes Mal. Sie beschloss, eine Antwort zu schicken.
    Calle überflog die Abendzeitungen im Internet und blieb an einer idiotischen Reportage über einen Filmstar

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