Gequält
Frage.«
»Ja.«
»Wenn sie Conny verdächtigt hätten, das Geld geklaut zu haben, dann wären sie doch wohl direkt nach Bjuv gefahren? Zwischen den beiden Todesfällen liegen mehr als vierundzwanzig Stunden.«
»Vielleicht wussten sie ja nicht, mit wem Conny zusammen war«, meinte Gerdin.
Karlsson seufzte.
»Ich finde, das klingt an den Haaren herbeigezogen. Mona wird tot in ihrer Wohnung gefunden. Ihr geliebter Lebensgefährte ist unauffindbar. End of story, wenn du mich fragst. Henk Utrechts Schicksal ist mir wirklich scheißegal, weil Jönköping dafür zuständig ist, nicht wir. Aber ich weiß deine lebhafte Fantasie zu schätzen. Sie ist wirklich … wie soll ich sagen, blühend.«
29
Calle verließ seine Wohnung. Das Wetter war zu schön, um drinnen zu bleiben. Vor der Haustür hielt er inne. Er wusste nicht, welchen Weg er einschlagen sollte. Einst hatte ein derartiges Gefühl unendliche Möglichkeiten beinhaltet, jetzt war er einfach nur unentschlossen.
Er ging Richtung Bibliothek. Dorthin trugen ihn seine Beine meist im Winterhalbjahr. Um die Zeitungen zu lesen, in denen er gerne blätterte, für die er aber nur ungern bezahlte, oder um in einem der Lesesäle zu arbeiten. Manchmal fiel es ihm leichter, sich von Menschen umgeben zu konzentrieren als allein zu Hause in der Küche.
Die Sonne wärmte und erfüllte ihn mit einem unbeschreiblichen Wohlbefinden. Er strich die Bibliothek von seinem Plan und setzte seinen Weg Richtung Handelshochschule fort.
Calle hörte Jörgens Stimme: Sobald dich einer will, wird er uninteressant.
Das stimmte einfach nicht. Oder doch?
Er sah sich nach etwas um, womit er sich ablenken konnte. Die meisten Leute trugen Sonnenbrillen, und zwar teure. Die Leute gaben Tausende von Kronen dafür aus, sich hinter einer Sonnenbrille der richtigen Marke zu verstecken. Die trendängstlichen Stockholmer. Falsch. Vermutlich kamen die wenigsten aus Stockholm, wohnten nur in der Hauptstadt, waren aus Norrland oder Schonen zugezogen …
Da war er schon wieder. Dieser verdammte Arzt wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen.
Calle folgte dem Sveavägen weiter bis zur Kungsgatan und bog dann links Richtung Stureplan ab. Er machte jetzt größere Schritte, denn ein vager Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an. Ein richtig langer Spaziergang um ganz Djurgården herum, sofern er dazu genug Kraft hatte. Vielleicht würde er ja auf dem Rückweg ein Straßencafé finden und sich auf ein Getränk in die Sonne setzen.
Die Kinos in der Kungsgatan waren ebenso ausgestorben wie die Schulhöfe. Diese Jahreszeit hatte keine aufregenden Filmpremieren zu bieten. Er warf einen Blick auf die Plakate: ein Film mit Richard Gere …
Langsam fühlte er sich verfolgt.
Er hielt inne und betrachtete sein Spiegelbild in einem Schaufenster. Jörgen hatte behauptet, sie würden einander ähneln. Inwiefern? Er sah doch viel besser aus als dieser wie immer er hieß. Ha! Er hatte bereits seinen Namen vergessen. Das ist ein sicheres Zeichen von Desinteresse!
David. So hieß er.
Ja, ja, auch egal.
Calle ging hinunter an den Strandvägen und blinzelte in die blendende Sonne über Södermalm. Der Kai war angefüllt mit Flaneuren, elegante Seniorenpaare, junge Liebespaare, Familien mit Kindern.
Kaum jemand war allein unterwegs. Nur vereinzelte Halbpromis aus irgendwelchen Vorabendserien, aber mit Schauspielern ließ es sich ja auch nicht zusammenleben, die waren ja noch schlimmer als Schriftsteller. Sie tranken zu viel und mussten ständig im Mittelpunkt stehen. Die einzige noch unsympathischere Berufsgruppe waren die Ärzte. So grenzenlos selbstgefällig und von der Ehrfurcht der anderen verwöhnt.
Das Klingeln seines Handys schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Calle schaute auf das Display. Die Nummer war ihm unbekannt, was nur eins bedeuten konnte: Der hartnäckige Kerl aus Schonen hatte den erstohlenen Kuss fälschlicherweise als Interesse gedeutet. Wenn er nicht von Anfang an deutlich war, dann würde er ihm ewig nachlaufen.
»Ja?«, sagte Calle so kurz angebunden wie nur möglich.
»Calle?« Eine Frauenstimme. »Hier ist Anna. Anna Stenberg vom Familienjournal .«
»Oh, hallo«, sagte Calle freundlich-beschwichtigend.
»Störe ich gerade?«
»Nein, nein, kein Problem. Ich dachte, es sei jemand anderes.«
»Verstehe. Tut mir leid, dass ich dich an einem Sonntag anrufe und störe … «
»Kein Problem.«
»… aber ich habe die heutige Ausgabe der Abendzeitung vor mir liegen und, tja, ich
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