Gequält

wussten Sie überhaupt, dass sie dieselbe Klasse besucht haben?«
    »Das hat mir seine Lehrerin erzählt.«
    »Welche Lehrerin?«
    »Selma Sellin.«
    »Der Name sagt mir nichts.«
    »Sie war die Klassenlehrerin. Ich habe sie angerufen, um etwas mehr über Kent zu erfahren.«
    »Sie haben eine Lehrerin angerufen? Ohne mich zu fragen? Warum das? Sie haben doch mit mir und mit Mattias gesprochen.«
    »Ich mache das gern, wegen der unterschiedlichen Blickwinkel. Die Lehrerin hat Anders erwähnt, und ich hatte wie gesagt seine Eltern in der Woche zuvor durch einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt. Was er da geschrieben hat  … «
    »Das kann nicht erlaubt sein. Es kann nicht erlaubt sein, so über einen Toten, der sich nicht verteidigen kann, herzuziehen, noch dazu ein Kind. Verstehen Sie, was Sie getan haben? Begreifen Sie überhaupt, wie sehr Sie mich verletzt haben?«
    »Hören Sie, Margit, damit habe ich nichts zu tun. Ich weiß kaum, wer dieser Anders Malmberg ist. Ich bin ihm nie begegnet.«
    »Sie haben mir Grüße von ihm ausgerichtet«, wiederholte Margit.
    »Wie hätte ich wissen sollen, dass Kent und Anders verfeindet waren?«
    »Und was hat die Lehrerin gesagt?«
    »Nichts Konkretes.«
    »Und wie kamen Sie dann auf Anders zu sprechen?«
    »Ich weiß nicht. Sie hat ihn erwähnt. Weil er Journalist ist, glaube ich. Wie ich.«
    »Jetzt lügen Sie. Ich höre, dass Sie lügen. Sie haben mir Grüße ausgerichtet.«
    »Das war nur so dahingesagt.«
    »Was soll das heißen?«
    »Bitte, Margit. Er greift mich an. Er schreibt, mein Text sei ein verlogenes, heuchlerisches Machwerk.«
    »Ich will wissen, was Sie zu tun gedenken.«
    »Tun?«, fragte Calle. »Leider lässt sich da nicht viel machen.«
    »Sie wollen die Sache also auf sich beruhen lassen und sich feige damit abfinden?«
    »Margit, bitte. Er nennt Kent nicht namentlich. Wir können nicht viel tun.«
    »Sie vielleicht nicht.«
    »Margit  … Hallo?«
    Sie hatte aufgelegt.

33
    Sara Vallgren hatte bereits siebzehn Tote gezählt, und es war mindestens noch eine Stunde übrig. Gewalt auf der Leinwand war uninteressant. Was eine Frau nicht alles in Kauf nehmen musste, um für gutes Wetter zu sorgen.
    Matte war jetzt seit vier Jahren an ihrer Seite, aber sie konnte sich keine Zukunft mit ihm vorstellen. Seine moralischen Bedenken waren ihr neu und passten schlecht zu seiner Aufgabe.
    Sara betrachtete ihn von der Seite. Seine Hand, die in den Popcornkübel griff. Immer wieder. Die aufgerissenen Augen, der mahlende Unterkiefer. Kein erstrebenswertes DNA-Material.
    Er zuckte zusammen und zog sein vibrierendes Handy aus der Hosentasche, schaute auf das Display, nahm den Anruf nicht an und wandte sich wieder dem Popcorn zu.
    Neuer Anruf, dieselbe Prozedur.
    Beim dritten Mal nahm er den Anruf flüsternd an.
    »Ich bin im Kino.«
    Der Besucher hinter ihr seufzte vernehmlich.
    »Mama, ich rufe zurück«, sagte Matte.
    Der Kinobesucher hinter ihm murmelte etwas über dumme Schweden . Die Dramatik im Saal begann die auf der Leinwand allmählich in den Schatten zu stellen.
    »Nein, habe ich nicht gesehen. Weinst du, Mama?«
    Der Hintermann trat gegen Mattes Rückenlehne.
    »Verdammt, kannst du nicht einfach die Klappe halten?«
    Der andere Zuschauer war mager und hitzig. Neben ihm saß eine gut aussehende Frau, was auf Selbstvertrauen schließen ließ. Da die Umrisse von Mattes Rücken auch im Kinodunkel zu erkennen waren, vermutete Sara, dass der andere nichts gegen Schlägereien einzuwenden hatte und sich bewusst war, dass man in den meisten Fällen mit Aggression schon recht weit kam.
    Matte drehte sich um.
    »Nicht noch einmal«, sagte er.
    Der andere wurde unsicher, aber es war zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Er begann mit einem langen Erguss über dumme Schweden, die sich nur mit sanitären Katastrophen vergleichen ließen. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, versetzte er Mattes Kopf einen Stoß.
    »Mama, kannst du einen Augenblick warten?«
    Matte reichte Sara das Handy und das Popcorn. Sie nahm beides entgegen und stellte fest, dass kaum noch jemand dem Geschehen auf der Leinwand folgte.
    Der andere Zuschauer stellte sich hin. Er hoffte vergeblich, dass sein kampflustiges Auftreten Matte einschüchtern würde. Also musste er notgedrungen als Erster zuschlagen. Matte wich geschmeidig aus, packte den ausgestreckten Arm des Mannes und zog ihn über die Stuhllehne in seine eigene Reihe. Er packte den Mann an den Haaren und knallte seinen Kopf zweimal