Gequält
Karlsson drehte sich halb zu Gerdin um, der verhalten lächelte
»Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
Margit ließ sich nicht durch falsche Freundlichkeit verführen. Offenbar war das nicht der erste Besuch der Polizei, der ihrem Sohn galt.
»Matte hat diesem schrecklichen Menschen nichts angetan. Haben Sie gelesen, was er über uns geschrieben hat? Er, sonst niemand, sollte im Gefängnis sitzen. So über einen verstorbenen Klassenkameraden herzuziehen …«
Karlsson und Gerdin sahen sich an.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte Karlsson, »aber jetzt kommen wir nicht ganz mit.«
Margit führte sie in die Küche, bot ihnen aber keinen Kaffee an, obwohl sie selbst gerade eine Tasse trank. Sie setzte sich an den Küchentisch. Karlsson deutete fragend auf den Stuhl gegenüber. Margit wandte den Blick ab, wie um zu sagen, dass ihr ja wohl nichts anderes übrig bliebe. Die Beamten setzten sich.
»Wer hat was geschrieben?«, fragte Karlsson.
Es dauerte eine Weile, den Sachverhalt zu klären. Margit holte die Artikel und reichte sie den Polizisten.
Eine Stunde später saßen die Beamten endlich im Restaurant am Hafen vor ihren Krabbenbroten. Ein Anruf bei der Kopenhagener Polizei hatte die nötigen Informationen über den misshandelten Journalisten in Stockholm geliefert.
»Calle Collin«, sagte Karlsson. »Wieso kommt mir der Name so bekannt vor?«
»Er hat vor einigen Jahren was über uns geschrieben.«
Karlsson zuckte zusammen.
»Und zwar was?«
»Dass wir diese Frau, die im Keller in Hittarp gefangen gehalten wurde, hätten retten können.«
»Dreist«, sagte Karlsson und schob sich eine Gabel mit Krabben in den Mund.
Angriffslustig blickte er sich um, während er kaute.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Gerdin.
»Alles in bester Ordnung. Ich finde es nur seltsam.«
»Was?«
»Erst interviewt er Matte hier in Höganäs. Dann begegnet er ihm einige Wochen später zufällig in Stockholm. Gleichzeitig wird dieser andere Journalist verprügelt.«
»Was hältst du davon?«, fragte Gerdin.
»Ich meine, dass das kein Zufall sein kann.«
»Was?«
»Irgendwie muss er in diese Sache verwickelt sein.«
»Wer?«
»Calle Collin.«
»Wieso sollte er dann seinen Kumpanen wegen der Tat anzeigen?«, fragte Gerdin.
»Das weiß ich nicht, aber irgendwas ist da nicht koscher. Glaubst du, dass die Kollegen in Stockholm mehr wissen?«
»Worüber?«
»Eines hat mich dieser Beruf gelehrt: Es gibt keinen Zufall. Sobald wir wieder im Präsidium sind, rufe ich in Stockholm an. So viel ist sicher.«
65
Anders ließ sich von seiner Mutter in seine Wohnung fahren. Drei Nächte reichten. Bengt hatte seine Kleider gewaschen, gebügelt und in einer blauen IKEA-Tüte verstaut. Er umarmte Anders lange, ehe er ihn losließ. Anders klopfte ihm mit seiner unverletzten Hand vorsichtig auf den Rücken. Bengt blieb in der Auffahrt stehen und winkte ihnen hinterher, als sie schließlich losfuhren.
Weder Anders noch seine Mutter sagten etwas, sondern starrten beide vor sich hin. Als sie über die Tranebergsbrücke fuhren, ließ Åsa die Fahrbahn einen Augenblick aus den Augen und sah ihren Sohn an. Sie suchte nach Worten, um das Schweigen zu brechen.
»Wie geht’s?«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Anders reagierte.
»Du meinst, mit der Hand?«
Åsa nickte nicht. Anders entschied sich, trotzdem über die Hand zu sprechen.
»Ein pochender Schmerz, aber nicht so schlimm.«
Er hatte in der vergangenen Nacht nur wenig geschlafen. Er war es gewohnt, sich nach Behagen wälzen und drehen zu können. Jetzt kam er nicht zur Ruhe. Die Schmerzen waren geradezu hilfreich und brachen die tiefschürfenden Gedanken in kürzere Sequenzen auf.
Sie fuhren schweigend weiter. Åsa fand einen Parkplatz und brachte ihren Sohn ins Haus. Anders öffnete die Tür und spähte in die Wohnung, als lauere dort irgendeine Gefahr. Auf dem Dielenfußboden lagen Zeitungen und Post.
Die Polizei hatte die Wohnung nach vierundzwanzig Stunden geräumt. Anschließend war Åsa dorthin gefahren und hatte geputzt. Mit einem feuchten Schwamm hatte sie das Blut von der Wand und vom Fußboden gewaschen.
Anders stellte die Tasche mit der Wäsche auf den Fußboden und sah sie an.
»Alles okay«, versicherte er.
Åsa blieb stehen und überlegte sich, was sie sagen sollte.
»Die Entscheidung liegt bei dir«, sagte sie schließlich. »Ich habe da keine Meinung.«
Anders sah sie an und wirkte nicht sonderlich überzeugt. Åsa schaute sich
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