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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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denn nicht?«, hatte Rachel gefragt. »Sie haben den Tod Ihrer Frau und Ihrer Tochter noch nicht völlig verarbeitet! Ihr Verlust hat Sie von der Welt und von sich selbst abgeschnitten. Sie sind verletzt. Sie sind verwundet. Der David, der in der wirklichen Welt lebt, ist nur gespielt. Der wahre David Tennant sitzt in einem dunklen, lautlosen Raum und kann weder denken noch fühlen. Niemand weiß von seiner Trauer und seinem Schmerz.«
    »Nein, das ist es nicht«, hatte ich widersprochen. »Ich hatte psychologischen Beistand. Es ist keine unverarbeitete Trauer.«
    Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Ärzte sind immer die schwierigsten Patienten.«
    Eine Woche später hatte ich ihr erzählt, dass der Traum sich verändert hatte.
    »Jetzt ist etwas zusammen mit mir in dem Raum.«
    »Was ist es?«
    »Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sehen.«
    »Aber Sie wissen, dass es da ist?«
    »Ja.«
    »Ist es eine andere Person?«
    »Nein. Es ist sehr klein. Eine Kugel. Sie schwebt mitten im Raum. Ein schwarzer Golfball, der in der Dunkelheit schwebt.«
    »Woher wissen Sie dann, dass es da ist?«
    »Weil die Dunkelheit in seinem Zentrum dunkler ist. Und es zerrt an mir.«
    »Wie das?«
    »Ich weiß es nicht. Wie Gravitation. Emotionale Gravitation. Aber ich weiß eins: Es kennt die Antwort auf meine Fragen. Es weiß, wer ich bin und warum ich in dieser Dunkelheit stecke.«
    Und so ging es weiter, mit leichten Abwandlungen, bis der Traum sich erneut veränderte – von Grund auf. Eines Nachts, als ich zu Hause war und in einem Buch las, dämmerte ich auf die übliche Weise weg. Ich fand mich in dem inzwischen vertrauten, lichtlosen Raum wieder und stellte der schwarzen Kugel meine Fragen. Dann, ohne Vorwarnung, explodierte der Ball in netzhautversengendem Licht. Nach so viel Dunkelheit wäre mir sogar ein aufflammendes Streichholz wie eine Lichtexplosion erschienen, doch das war überhaupt kein Vergleich. Das Licht raste mit der Wucht einer Wasserstoffbombe in alle Richtungen, nur dass diese Explosion nicht in sich zusammenfiel und eine Pilzwolke aufstieg. Sie dehnte sich mit unendlicher Macht und Geschwindigkeit aus, weiter und immer weiter, und ich hatte das schreckliche Gefühl, dass sie mich verschlang. Verschlang, jedoch nicht vernichtete. Und während das grelle Licht die Dunkelheit verschlang, die ich selbst war, wusste ich irgendwie, dass es Milliarden Jahre so weitergehen konnte, ohne dass es mich gänzlich zerstörte. Und doch hatte ich immer noch Angst.
    Rachel wusste nicht, was sie mit diesem Traum anfangen sollte. Im Verlauf der nächsten drei Wochen hörte sie mir zu, während ich beschrieb, wie Sterne und Galaxien geboren wurden und wieder vergingen, und ihr von Schwarzen Löchern, Supernovae und Galaxien erzählte, die aussahen wie pulverisierte Diamanten, die in der Schwärze schwebten. Ich schien von einem Ende des Universums zum anderen sehen zu können, alle Objekte zugleich, während sie mit Lichtgeschwindigkeit in mich hineinexpandierten.
    »Haben Sie derartige Bilder früher schon gesehen?«, fragte Rachel. »Im richtigen Leben?«
    »Wie sollte ich?«
    »Haben Sie Fotos gesehen, die vom Hubble-Weltraumteleskop aufgenommen wurden?«
    »Selbstverständlich.«
    »Sie sind dem, was Sie beschreiben, sehr ähnlich.«
    Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam mich. »Sie verstehen nicht. Ich sehe diese Bilder nicht nur, ich fühle sie! Genauso als würde ich Kinder beim Spielen beobachten oder Liebende, die zusammen sind, oder Menschen, die in der Schlacht kämpfen. Es ist nicht bloß ein visuelles Erlebnis.«
    »Erzählen Sie weiter.«
    Das sagte sie immer. Ich schloss die Augen und tauchte in meinen jüngsten Traum ein.
    »Ich sehe einen Planeten. Ich schwebe über ihm. Es gibt Wolken, aber sie sind anders, als wir sie kennen. Sie sind wie Säure, grün, und sie werden von Stürmen übers Land gepeitscht. Ich tauche tiefer, durch die Wolken hindurch. Es ist wie eine Satellitenkamera, die auf die Erde zoomt, bis hinunter zur Oberfläche. Unter den Wolken ist ein Meer, aber es ist nicht blau, sondern rot, und es kocht. Ich durchbreche die Oberfläche und tauche tief in das Rot hinab. Ich suche nach etwas, doch es ist nicht da. Der Ozean ist leer.«
    »Mir ist einiges durch den Kopf gegangen, während Sie diesen Traum geschildert haben«, sagte Rachel, als ich geendet hatte. »Zuerst die Farben. Rot ist wichtig. Der leere Ozean ist ein Symbol für Ödnis. Ein Ausdruck für Ihre Trauer.« Sie zögerte. »Was

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